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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Leistungsausgaben um mindestens 50 Prozent. Der Hohn ist nur: Das alles wurde vom Gesundheitsministerium auch noch als fair, gerecht und ausgeglichen festgezurrt.
    AOK -Mitarbeiter kamen also mit Listen in die Praxen, in denen die Daten inklusive der Diagnosen der Versicherten aufgelistet waren. Ich weiß durch die Schilderungen verschiedener Ärzte, dass sich die nachfolgenden Szenarien nicht im Film, sondern in der Wirklichkeit deutscher Arztpraxen abspielten: Nette Damen und Herren Kassenangestellte kamen in die Praxis und erteilten umfangreichen Nachhilfeunterricht. Beim Herrn A müsse man aber unbedingt noch die Codierung X anbringen, und da fehle noch mindestens die Untercodierung XXX . »Immer fleißig codieren, es ist Ihr Vorteil!« Und mit dieser Diagnose da, da könne man ja gar nichts anfangen, sie sei ja nicht ansatzweise codiert usw. Ja und dies und das, das würde man doch besser mit Y codieren! Mancher Arzt staunte auch über Diagnosen, die auf seinen Patienten gar nicht zutrafen. So beschrieb eine Ärztin die kuriose Situation: »Ich sollte für meinen Patienten die Codierung für HIV nachtragen, auf meinen Einwand, der Patient habe aber keine HIV -Erkrankung, wurde auf die Diagnose Lungenentzündung hingewiesen. Ich kann mir das nur so erklären: Da in meiner Praxis vermehrt HIV -Patienten behandelt werden, kann aus der Diagnose Lungenentzündung der Schluss auf HIV gezogen worden sein!« Irgendwann besorge ich mir eine »unsichtbare Kamera« und drehe einen deutschen »Sicko«-Film.
    Ähnlich lustig sieht es in den Kliniken aus. Dort geht es um die sogenannten Fallpauschalen. Wo du hinkommst, findest du mittlerweile das gleiche Heer hochdotierter Controller. Die Leute werden eingesetzt, damit sie in detektivischer Kleinarbeit die einzelnen Berichte von Ärzten und Pflegepersonal durchforsten. Sie haben nur eine einzige Aufgabe: Fall für Fall nachforschen, ob nicht doch noch mehr herauszuholen wäre. Eine trickbetrügerische Kunst bürokratischer Geldvermehrung ist an die Stelle des ehrlichen, uralten Dreischritts getreten, der da heißt: 1. klare Diagnose, 2. angemessene Therapie, 3. sachgerechte Honorierung erbrachter Leistungen.
    Was bleibt, ist der Verlust der individuellen Behandlung des Patienten vor Ort. Egal ob in der Praxis oder in der Klinik: Ärzte haben, bevor sie einen Finger rühren und einen Gedanken fassen, vor allem ein ehernes Gesetz zu befolgen. Es lautet: »Hol das Maximale aus diesem Fall heraus, auf dass du lange lebest und es dir wohlergehe im Land deiner Väter.« Das ist das neue Gesetz Moses im Gesundheitswesen. Wer dies nicht will, wer dies nicht kann oder wer seinen Blick zu sehr auf ärztliche Heilkunst legt, wird über kurz oder lang die negativen Auswirkungen für sich und seine Existenz spüren.
    Der einzelne Patient, egal mit welcher Krankheit er geschlagen ist, steht diesem perversen Mammutgebilde Gesundheitswesen macht- und ratlos gegenüber. Es ist an der Zeit, dass die vielen Patienten ihre je individuellen Erfahrungen austauschen und in einen gemeinsamen Prozess der Analyse treten. Deshalb habe ich den »Bürgerschulterschluss« begründet. Wenn erst einige hunderttausend Leute an einigen tausend Orten in unserem Land miteinander ins Gespräch kommen, platzt die Gesundheitsblase. Wo zehn Patienten, zehn Ärzte, zehn Pfleger an einem Tisch sitzen, machen sie dieselbe Erfahrung: Meine Misere ist auch deine Misere, mein Fall ist auch dein Fall, meine Not ist auch deine Not. Nein, es sind keine »Zufälle«, die unsere Kliniken und Praxen zu Unorten machen. Es handelt sich um einen politisch gestützten, systemlogischen Angriff der Geschäftemacher auf den Menschen. Wir Patienten werden in diesem Prozess zur Ware, Ärzte und Pflegepersonal zu Handlangern wider Willen.

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6. Arm, krank und arbeitslos
    Und bist du nicht willig …
    E r ist ein ruhiger und zurückhaltender Mensch, der Privates und Berufliches strikt trennt, der immer als verlässlich, reell, pünktlich und korrekt von seinen Arbeitgebern eingestuft wurde. »Betriebsbedingte Umstrukturierung« führte zum Verlust seines Arbeitsplatzes und zu einer Kette von Schicksalsschlägen, die den Mann gesundheitlich und existenziell an den Rand des Ruins brachten. Für uns ist es interessant, zu sehen, wie das neue Gesundheitswesen mit Menschen umgeht, die in einem härter gewordenen Arbeitsumfeld physisch und psychisch unter die Räder geraten.
    Für eine sich anbietende neue Stelle musste der Mann seine

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