KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Immunsystem entstehen lassen, das dem alten, dem angeborenen Immunsystem übergestülpt und immer weiter perfektioniert wurde. Die Wurzeln dieses zweiten Immunsystems reichen zurück bis in die Zeit der Entstehung der Kieferfischevor einigen hundert Millionen von Jahren. Seit dieser Zeit entwickelte sich ein zunehmend komplexeres Beziehungsgeflecht gegenseitiger Hilfeleistungen zwischen altem und neuem Immunsystem, das beim Menschen inzwischen so verwoben ist, dass beide Teile funktionell oft kaum voneinander zu trennen sind. 15
Der modernere Teil des Immunsystems
verfügt über ein ungleich größeres Rezeptorenrepertoire und kann auch äußerst subtile Unterschiede zwischen eigen und fremd erkennen. Weil dieses Arsenal zum großen Teil erst nach der Geburt in Auseinandersetzung mit den Krankheitserregern entsteht und weil es ständig modifiziert wird, nennen die Immunologen diesen Teil des Immunsystems auch das adaptive Immunsystem. Das adaptive Immunsystem ist flexibler und überarbeitet sein Repertoire je nach Bedarfslage. Im Gegensatz zum angeborenen Immunsystem kann es auch eine Art von immunologischem Gedächtnis entwickeln.
Die beiden wichtigsten Protagonisten des Systems
sind die B-Lymphozyten und die T-Lymphozyten, auch kurz T- und B-Zellen genannt. Die T-Zellen sind es, die fremde Peptide aus dem Innern der Zelle in Kombination mit körpereigenen MHC-Komplexen erkennen können. Die Vorläufer der T-Zellen werden im Knochenmark produziert und wandern zur Reifung und weiteren Vermehrung in die Thymusdrüse. Der Thymus ist ein wenig bekanntes Organ, das zum lymphatischen System gehört und beim Menschen hinter dem oberen Drittel des Brustbeins sitzt. Im Thymus nehmen die reifenden T-Lymphozyten an einer genetischen Lotterie teil. In ihrem Genom vollzieht sich ein einzigartiger Prozess, der in dieser Weise nur in Zellen des adaptiven Immunsystems zu beobachten ist. Dieser Prozess ist etwas Besonderes, weil er einige Regeln der Beziehung zwischen Genen und Proteinen grob verletzt.
Normalerweise liefert ein Gen den Bauplan für ein ganz bestimmtes Protein. Die seltsame Lotterie in den Lymphozyten betrifft die Gene, die für die Produktion der T-Zell-Rezeptoren verantwortlich sind. T-Zell-Rezeptoren sind Heterodimere. Das bedeutet, sie bestehen nicht aus einer, sondern aus zwei unterschiedlichen Eiweißketten ( + oder + ). Diese Tatsache allein ist noch nichts Besonderes. Doch mit der Kombination zweier Gene ist es längst nicht getan. Die Genabschnitte, die die beiden Ketten des Rezeptors codieren, sind extrem instabil. Während einer bestimmten Phase der Zellreifung werden unterschiedliche Stücke dieser Gene aus dem Doppelstrang herausgeschnitten, nach dem Zufallsprinzip umgruppiert und neu arrangiert.
Daraus resultiert in jeder dieser reifenden T-Zellen eine individuelle neue Gruppe von DNA-Abschnitten, die dann in ihrer Gesamtheit als neu entstandenes Gen abgelesen wird. Durch diese Form der zufälligen Rekombination entstehen Millionen unterschiedlicher Klone von T-Zellen, von denen jeder Klon seinen eigenen individuell zusammengestellten T-Zell-Rezeptor trägt. Mit Hilfe dieses Tricks ist es möglich, nach dem Baukastenprinzip aus wenigen Genen viele verschiedene unterschiedliche T-Zell-Rezeptoren zu generieren. Die Zahl der verschiedenen T-Zell-Linien kann die Zahl der Gene unseres Körpers bei Weitem übersteigen.
In der Thymusdrüse
entsteht aber nicht nur die Vielfalt der Erkennungsmoleküle des adaptiven Immunsystems. Dort wird das T-Zell-System auch im Sinne des Körpers erzogen. Die genetische Lotterie im Thymus funktioniert nach dem Zufallsprinzip. Sie produziert eine riesige Zahl von T-Zell-Klonen mit einer genauso großen Anzahl individueller T-Zell-Rezeptoren. Viele passen gut zu den körpereigenen MHC-Komplexen, andere dagegen nicht. In einer ersten Welle der Selektion sterben zunächst alle T-Zellen ab, deren Rezeptoren blind für die eigenen MHC-Komplexe sind. Solche Zellen sind für das Immunsystem nutzlos, weil die T-Zellen immer nur die Kombination aus einem Eiweißbruchstück in Verbindungen mit dem eigenem MHC-Protein erkennen. Die T-Zellen, deren Rezeptoren sich nicht mit den körpereigenen MHC-Molekülen verbinden können, sind verloren und sterben ab. Nur die Bindung an ein MHC-Molekül des Thymus bewahrt die Zelle davor, dass sie Selbstmord begeht.
In einer zweiten Welle der Selektion werden diejenigen T-Zellen aussortiert, die sich zu Kombinationen von körpereigenem
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