Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
und die Stimme des Avatars erklang.
» Blick ins All? Oder etwas Schirm-Unterhaltung, um die Zeit zu vertreiben?«
Plötzlich zeigte das Visier das gleiche Bild wie zuvor der Schirm, allerdings um ihr Blickfeld gewölbt. Die falsch aussehende achtgliedrige Schneeflocke befand sich noch immer in der Mitte.
» Sie hätten besser fragen sollen, ob ich mich vor erzwungener Immobilität und Enge fürchte«, wandte sich Lededje an den Avatar.
» Das habe ich vergessen. Der Anzug kann Sie natürlich betäuben, für die Dauer… von was auch immer.«
» Nein, danke.«
» Entscheiden Sie sich. Das Weltall, wie es leibt und nicht lebt und ziemlich erschreckend sein kann, oder ein bisschen Unterhaltung auf dem Schirm: wehmütige Comedy, geistreiche Dialoge, Slapstick-Komik, fesselndes menschliches Drama, ein Historienepos, lehrreiche Dokumentationen, Öko-Geschwafel, reiner Kunstgenuss, Porno, Horror, Sport oder Nachrichten?«
» Der Blick ins All genügt mir, danke.«
» Ich werde mein Bestes tun. Es könnte alles zu schnell geschehen, falls überhaupt etwas geschieht. Seien Sie auf Enttäuschungen gefasst, denn es besteht noch immer die Möglichkeit, dass diese spezielle Begegnung friedlich ausgeht. Wer sich zu sehr freut, kriegt oft einen Dämpfer.«
» Sie verstehen es erstaunlich schlecht, Ihre wahren Empfindungen in Hinsicht auf diese Dinge zu verbergen«, sagte Lededje. » Hoffentlich sind Ihre Raumkampf-Taktiken besser.«
Der Avatar lachte nur.
Dann wurde für ein paar Sekunden alles still. Lededje hörte den eigenen Herzschlag wie von ferne. Es folgte ein Geräusch, das sich anhörte, als holte jemand Luft, und dann sagte der Avatar leise: » In Ordnung…«
Auf dem Schirm vor Lededjes Augen flackerte die schwarze Schneeflocke.
Es kam die Zeit, als Chay das kleine Tal mit den eisernen Käfigen fand, wo Säureregen auf die heulenden Gefangenen fiel und jeden Morgen Dämonen kamen und die Schreienden zu den schiefen Abflussplatten zerrten, damit ihr Blut in den plätschernden Fluss am Boden des Tals strömte und von dort aus zum Teich bei der kleinen Mühle.
Sie schlug mit ihren großen Flügeln über der Szene und beobachtete, wie eine große fliegende Käfer-Maschine eintraf und die letzte Gruppe von Sündern brachte, die nach ihrer Tour durch die Hölle angemessenes Entsetzen zeigten. Der Käfer landete in einem Sturm aus Staub, der die Mühle in einen grauen Mantel hüllte und der dunklen Kruste auf dem Blutteich eine weitere Schicht hinzufügte.
Auf der einen Seite der Mühle drehte sich schwerfällig das Rad, und zu seinem Knirschen und Knacken gesellten sich das Stöhnen und Ächzen von noch lebenden Gewebesträngen, Sehnen und Knochen, aus denen das Rad bestand.
Jeder Flügelschlag bescherte Chay ein schmerzhaftes Stechen.
Sie hatte tausend Gepeinigte getötet, sie umarmt und ihre Seelen ins Nichts entlassen. Inzwischen lag das schon eine Weile zurück. Sie wusste noch immer nicht, wie schnell die Zeit in dieser virtuellen Hölle verging. Für sie waren es über dreizehnhundert Tage, fast drei Jahre nach den pavuleanischen Zeitbegriffen im Realen.
Mit jedem Tod nahm sie etwas mehr Schmerz auf– der laternenköpfige Überdämon hatte nicht gelogen. Ein schmerzender Zahn hier, ein unangenehmes Ziehen in den Eingeweiden, ein beharrliches Pochen hinter der Stirn, an der Hüfte etwas, das sich nach einem eingeklemmten Nerv anfühlte, ein leichtes Brennen jedes Mal dann, wenn sie die Klauen schloss, ein Krampf, wenn sie die Flügel auf eine bestimmte Weise streckte… tausend kleine Wehwehchen, die sich aufaddierten und dadurch zu einer Belastung wurden. Chay hatte lange aufgehört zu glauben, dass bestimmte Teile ihres großen dunklen Körpers von Schmerzen verschont blieben. Sie erinnerte sich an ihr Leben als Oberin im Refugium, und an die Zeit, als das Ende näher rückte, als ihr alles wehgetan hatte. Wenigstens war dort der Tod präsent gewesen und hatte Erlösung von den Schmerzen gebracht.
Es dominierte kein einzelner Schmerz, und selbst wenn man sie alle zusammennahm: Sie schwächten Chay nicht so sehr, dass sie ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen konnte. Aber sie setzten ihr ständig zu, jeden Tag, füllten ihre Existenz mit dauerndem Elend. Besonders schlimm wurde es an jenen Tagen, wenn sie sich dem Selbstmitleid hingab und daran dachte, dass die Schmerzen und das Elend auf ihr eigenes Handeln zurückgingen.
Trotzdem stieg sie immer wieder auf und flog über die grässlichen Landschaften
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