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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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sich denken lässt. Stets ist jemand aus den Reihen der Eltern anwesend. Man macht sich Notizen über bestimmte Kinder und deren Auffälligkeiten, die später bei regelmäßigen Treffen diskutiert werden. Nicht nur Mütter beteiligen sich am Dienst im Kinderladen, auch Väter, die wegen ihrer Bärte älter aussehen als sie tatsächlich sind. In dem Film sieht man einen Mann, der sich von einem Vierjährigen beim Kochen helfen lässt. Der Kleine darf sogar mit einem scharfen Messer Gemüse schneiden. Er macht es ruhig und konzentriert. Von gleicher Qualität ist die Aufmerksamkeit des Mannes für dieses Kind. Solche Väter waren damals eine Sensation.
    Katharina von Thalheim schildert noch anderes, wodurch sich ihr Kinderladen von einem Kindergarten unterschied. »Es war sehr willkommen, dass wir Doktorspiele machten. Es war also ein großes Thema, wer mit wem kuschelt, und wer mit wem Doktorspiele macht.« Einmal, erinnert sie sich, sei eine Erzieherin von den Kindern aufgefordert worden, sich selbst auszuziehen. Sie habe es prompt getan und die Kinder ermuntert, sie könnten auch ruhig mal ihre nackte Brust anfassen. »Das kam mir schräg vor«, erinnert sich Katharina, »und ich bin in einen anderen Raum gegangen.«
    In dem Fernsehfilm erlebe ich ihre Eltern, als sie jung waren. Ihr Vater ist der Älteste in der Gruppe, und er sieht keineswegs [185] wild aus. Dazu der Kommentar seiner Tochter: »Er arbeitete in einem Verlag, wo Wert auf ein korrektes Äußeres gelegt wurde. Für Vater bedeutete das keine große Anpassung. Ihm waren noch Konventionen wichtig, die andere längst beiseite geschoben hatten.« Obwohl Alf von Thalheim aussieht wie einer, den man damals an der TU Berlin sicherlich als »Spießer« tituliert hätte, ist er in dieser Gruppe der Wortführer. Er spricht routiniert und kontrolliert. Alle anderen in der Runde zeigen mehr Gefühle als er. Der Vater erinnert mehrfach an den »politischen Auftrag« der hier vorgestellten neuen Pädagogik. Was man sich unter einer »sozialistischen Erziehung« vorzustellen hat, wird in dem Fernsehbeitrag nicht erläutert.
    Gedreht wurde eines der Treffen, bei dem man sich über das Einzelverhalten bestimmter Kinder austauschte. Warum ist Markus so aggressiv? Klar doch, er hat in den vergangenen zwölf Monaten bei seinen Großeltern gelebt, da ging es streng zu – er wird also noch eine Weile brauchen, bis er sich an die neue Umgebung mit den vielen Freiheiten gewöhnt hat. Katharinas Mutter, ein norddeutscher blonder Frauentyp mit Hornbrille, beteiligt sich ausführlich an der Diskussion, wohl auch deshalb, weil sie Studentin der Pädagogik ist. Warum spielt Cordula nie mit anderen? Ihre Eltern, die direkt darauf angesprochen werden, können sich ihr Verhalten nicht erklären. Wenn das Mädchen zu Hause andere Kinder zu Besuch hat, spielt sie gern mit ihnen. Der Fernsehreporter will es offenbar genau wissen, denn der Film zeigt anschließend eine Szene in Cordulas Kinderzimmer. Die Fünfjährige und eine Gleichaltrige spielen mit Puppen, alles ganz normal. Und so sieht es auch in der Wohnung von Cordulas Eltern aus, ganz normal, sprich aufgeräumt.
    Auf feine Manieren wurde im Kinderladen kein Wert gelegt. Die Kleinen durften, wenn sie wollten, mit den Fingern essen. Ganz anders, wenn Katharina mit ihrem Vater in einem Lokal saß. »Ich wollte das Besteck nicht benutzen, und sagte trotzig: [186] ›Warum soll ich hier anders essen?‹« Da schärfte der Vater seinen Kindern ein: »Wenn ihr erwachsen seid und einen Tisch in einem Restaurant bestellt und deshalb euer Name fällt, dann müsst ihr euch benehmen. Die Leute erwarten von Adligen, dass sie mit Fischmesser essen können. Das müsst ihr lernen!«
    Adlig und antikapitalistisch
    Rückblickend stellt Katharina von Thalheim fest, es sei für sie nicht leicht gewesen, mit den Normen des Adels und gleichzeitig mit denen des Antikapitalismus aufzuwachsen. Ein vermeintliches Erfolgserlebnis konnte sich völlig in sein Gegenteil verkehren. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte ein Mann vom Fernsehen sie auf der Straße angesprochen und mit ihr eine kurze Szene für einen Werbespot gedreht. Am Abend zeigte sie ihrem Vater stolz ihr erstes selbstverdientes Geld, fünf Mark. Der bekam einen furchtbaren Wutanfall: Wie sie, seine Tochter, dazu käme, sich ohne Erlaubnis ihrer Eltern filmen zu lassen, und dann auch noch für Werbezwecke!
    Alf und Ulrike von Thalheim, geboren 1939 und 1940, stammten beide aus

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