Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
selbst »Führer« sein; praktisch dasselbe. Denn der »Herr« wird immer nur vorgeschoben, und die Herren stehen dahinter, wollen sie die Völker scheren oder schlachten, und eines von beiden wollen sie immer, immer – was sie »weiden« nennen. Aber können Schafe dies kapieren? Und doch: keine Erkenntnis ist hier wichtiger.
Sehr theologisch rechtfertigt der Papst seinen projektierten Großkrieg mit Jesus, »denn wie er selbst sein Leben für uns einsetzte, müssen auch wir für unsere Brüder unser Leben einsetzen«. (Bis in den Ersten und Zweiten Weltkrieg hinein verbindet man derart, immer gleich widerlich und bar jeder Scham, den evangelischen Pazifisten mit den ungeheuerlichsten Völkerschlachten.)
Gregor datierte seine Schreiben, wohl ein singulärer Fall in der Papstgeschichte, »aus dem Feldlager« (Data in expeditione). Aber als sich seine Streitmacht nach umfangreichen Vorbereitungen im Juni 1074 bei Rom sammelte, wollte er sie nicht in den Orient schicken – sondern gegen die Normannen, deren Herzog ihm opponierte. Im August 1073 hatte Landulf VI. von Benevent, im September der Fürst Richard von Capua Gregor gehuldigt. Nur Robert Guiscard versagte sich seinen Wünschen, weshalb ihn der zornbebende Pontifex zwar einkreiste, doch Robert sein Reich ausdehnte, Amalfi unterwarf, ins Fürstentum Capua, in den Kirchenstaat vordrang, so daß ihn Gregor 1074 bannte.
Der Papst hatte in einem Aufruf geprahlt, der Truppen nicht gegen die Normannen zu bedürfen, mit denen er selber fertig werden wollte. Doch scheiterte alles noch in den Anfängen an der Rivalität der Fürsten. Einer nach dem anderen der »Getreuen Sankt Peters« sprang ab. Von Salerno bis Frankreich blieben die Krieger aus, und dann lief auch der Rest seiner Soldateska auseinander. 36
Aber Ende des Jahres 1074 kam Gregor noch mehrmals und sogar mit großer Emphase auf sein Kreuzzugsprojekt zurück, bei dem er als »Heerführer und Bischof« in den Orient ziehen und an seiner Seite, merkwürdig genug, zwei Damen haben wollte: die alte Kaiserin Agnes (vielleicht als Anstandsdame?) und die noch ziemlich junge Markgräfin Mathilde von Tuszien, die comitissa et ducatrix, damals gerade 28 Jahre alt und zeitlebens seiner Heiligkeit derart zugetan, daß man, darunter sehr viele Bischöfe, beide eindeutig zweideutiger Beziehungen bezichtigte. Dagegen machten spätere christliche Autoren die zweimal Verheiratete fast zu einer Nonne, einer Jungfrau jedenfalls.
Es ist wohl klar, daß der Papst auch große Stücke auf die, wie er sagt, »ruhmreiche Beatrix« von Tuszien hielt, die Mutter. Wiederholt bekundet er, »wie stark die Liebe ist, mit der wir Euch eng verbunden sind«. Die beiden »innigstgeliebten Töchter des heiligen Petrus« besaßen schließlich nicht nur ein kolossales Territorium, sondern geboten auch über dementsprechende militärische Macht. Und Gregors Liebe – dem Himmel Dank – war alles andere als einseitig. Nein, die Damen, bezeugt er wieder selbst, mühten »Tag und Nacht sich (die noctuque) uns zu unterstützen«. Ihre Anhänglichkeit erinnert ihn »häufig« an jene Bibelfrauen, die den totgeglaubten Herrn im Grabe suchten »vor allen Jüngern in wunderbarer Liebesglut ...«. 37
Mathilde von Tuszien (1046–1115), Tochter des 1052 liquidierten Markgrafen Bonifatius und der Gräfin Beatrix von Tuszien, war mit dem Herzog von Niederlothringen, Gottfried IV. dem Buckligen, dem treuesten Anhänger Heinrichs, verheiratet. Doch die Ehe erwies sich als Katastrophe. Seit 1071 lebte Mathilde ständig von ihm getrennt und kinderlos auf ihren umfangreichen italienischen Ländereien – um die sich dann das ganze 12. Jahrhundert Kaiser und Päpste raufen –, indes den Herzog die heimischen Geschäfte so beanspruchten, »daß er kaum alle drei oder vier Jahre einmal die italienische Mark besuchte« (Lampert). Der Papst aber vermittelte nicht zwischen den beiden, sondern vertiefte das Zerwürfnis. Und als Gottfried sein Gegner wurde, war er kurz darauf, im Februar 1076, eine Leiche, auf einem seiner Feldzüge grauenhaft gemeuchelt – und der Friesenfürst, der mutmaßliche Urheber des Mordes, blieb dem Papst der »in Christus geliebte Sohn«; wie die junge Mathilde die »in Christus geliebte Tochter« oder »getreue Magd des heiligen Petrus«, auch »teuerste und getreueste Tochter des heiligen Petrus« genannt.
Mathilde hatte bereits mit ihrer Mutter ein straffes politisch-militantes, auch die päpstlichen Kriegsvorhaben wider
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