Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
seiner Gegner ausgehungert, erobert, verbrannt, wobei ihm vor allem angesehene Geistliche von dieseits wie jenseits der Alpen halfen. Mathilde von Tuszien aber sah sich derart geschwächt, wichtiger Plätze beraubt, daß sie mit dem schon ziemlich siegessicheren Kaiser verhandelte. Nur der Abt von Canossa, Johannes, soll ihre Kapitulation verhindert haben. Führte er angeblich doch aus, »daß ein Friedensschluß dem heiligen Geiste, Gott Vater und dem Sohne zuwider ginge, daß dagegen vom Himmel großer Sieg bei Fortsetzung des Kampfes werde gespendet werden«. In Rom freilich eroberte die kaiserliche Partei die Engelsburg samt ganzer Stadt. Gegenpapst Clemens III. zog wieder einmal ein, und Urban II. floh für Jahre zu den Normannen. Fast schien es, als sollte er enden wie Gregor VII. 105
Aber dann wandte sich das Blatt, die päpstlichen Ränke begannen sich auszuzahlen.
Heinrich wurde in Oberitalien immer mehr eingeengt, bis hinter die Etsch zurückgedrängt, und da man ihm auch die Pässe der Alpen verschloß, konnte er keinen Nachschub, keine Verstärkung mehr bekommen. Indes ringsum der Abfall wuchs, war er der Verzweiflung nahe und soll nur durch seine Umgebung vom Selbstmord abgehalten worden sein.
Während man so ihn samt seinen Papst isolierte, konnte Urban II. nach jahrelanger Zuflucht in Süditalien Ende 1093 wieder nach Rom zurück. Im November betrat er die schmutzige, mörderische, gespaltene Stadt, eine Stadt, die immer noch nicht viel mehr bot als »Szenen täglichen Straßenkampfes, die Tyranney roher Magnaten und das Elend eines bettelhaften Volks« (Gregorovius). Bloß durch Bestechung vermochte Urban den Lateran in Besitz zu nehmen. Keiner der Kardinäle und Bischöfe seiner Umgebung hatte allerdings genug Geld, keiner konnte oder wollte dem in Tränen aufgelösten Pontifex, dem ein gewisser, von Clemens III. zur Verteidigung des Laterans bestellter Ferrucius die Übergabe gegen Bezahlung angeboten, pekuniär beispringen. Da tat dies ein fremder Abt, Gottfried von Vendome. Er opferte, auch seinerseits weinend, alles, was er von seinem Kloster mitgeführt, Gold, Silber, Münzgeld, Maultiere, Pferde, und erkaufte so um Ostern 1094 Urban den Einzug in die Papstresidenz. 106
Mittlerweile aber war Heinrichs Sohn Konrad, 1087 in Aachen zum deutschen König gekrönt, von ihm abgefallen, und viele Städte mit ihm, ganz gewiß ein Werk des Klerus. Der junge Prinz, stets von Geistlichen umgeben, umgarnt, hatte seine Jugend großenteils in Italien verbracht und sich zur Rebellion gegen den eigenen Vater bereden lassen. Er floh zur Gräfin Mathilde, die ihn dankbar empfing, weiter dem Vater abspenstig, ihn aufsässiger noch machte und gleichsam an Papst Urban vermittelte, der den Vaterverräter lossprach und 1093 im Dom zu Mailand von Erzbischof Anselm zum König von Italien krönen ließ. Zwei Jahre später hielt Konrad dem Papst in Cremona den Steigbügel und leistete ihm einen Sicherheitseid, während Urban dem jungen Salier das Kaisertum beschaffen wollte, ihn auch noch fester an sich band durch die Verlobung mit der kleinen Tochter Rogers von Sizilien, einem der engsten päpstlichen Bundesgenossen.
Anfang 1094 traf den Kaiser ein neuer Schlag. Seine zweite Frau, die attraktive Tochter des russischen Großfürsten Vsevolod von Kiew, die er nach dem Tod ihres ersten Mannes, des Grafen Heinrich von Stade, 1089 geheiratet, hatte vielleicht Ehebruch mit Stiefsohn Konrad getrieben. Sie floh Anfang 1094 aus Verona zu Mathilde von Tuszien. Vom Klerus aufgestachelt, enthüllte sie so scham- wie hemmungslos die Geheimnisse ihres Schlafzimmers, die bereits 1094 eine Konstanzer Klerusversammlung beschäftigten und 1095 von ihr selbst auf Urbans II. Konzil in Piacenza zum besten gegeben wurden, angeblich »das Allerekelhafteste«. Dem Kaiser sagte sie perverse Unzucht nach und erklärte, zweifellos fälschlich, er habe sie zum Ehebruch nötigen wollen. Nach diesem spektakulären Auftritt, der das ihr Zugedachte wohl erfüllte, soll sie kaum noch in Erscheinung getreten und Ende 1106 in einem Kiewer Kloster verschwunden sein.
Der Papst hatte Heinrich immer mehr umstellt, eingekreist, und es war klar, daß er mit dem jetzt von ihm propagierten Kreuzzug weitere Truppen vom Kaiser abziehen und unter seiner Fahne vereinigen werde. 107
6. Kapitel
Der Erste Kreuzzug (1096–1099)
»Überall reichten sich die abendländischen Nationen die Hände, um gemeinsam zu streiten für das, was sie einte. Im Heiligen Lande,
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