Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
»Tyrannenmord« öffentlich gerechtfertigtes Verbrechen. Der Burgunder hatte den Pariser Pfaffen, der »stets die herrschende Auffassung« vertrat, im Jahr zuvor gekauft (feiner: als »besoldeten Rat in seinen Dienst« gestellt: Autrand). Und am 10. September 1419 stachen Spießgesellen des Dauphins, des späteren Königs Karl VII., in dessen Gegenwart und mit seiner Zustimmung, heimtückisch den Burgunderherzog Johann »Ohnefurcht« bei Verhandlungen auf der Brücke von Montereau ab, 88 km südöstlich von Paris, als sich Johann vor dem Dauphin verneigte. Auch zwei von Johanns Begleitern fielen. Den Mördern des Herzogs aber zahlte der Dauphin hohe Pensionen.
Zwischen diesen Attentaten wogte der Bürgerkrieg hin und her; unterstützte etwa Johann den Bischof von Lüttich, Johann von Bayern »Ohnegnade« (»sans Pitié«) 1408 in der blutigen Schlacht von Othée gegen dessen aufständische Diözesanen; wurde Paris bald von der einen, bald von der anderen Partei genommen; wurde danach immer wieder in der Stadt gemordet, eingekerkert, verjagt; kam es u.a. zur brutalen Beseitigung des Connétable Armagnac, zu schweren sozialen Ausschreitungen, zu Massakern. 28
Eine Hexe wird heilig
Die »Symbolfigur« des französischen Widerstandes gegen England, die populärste Gestalt des Hundertjährigen Krieges überhaupt, wurde Jeanne d'Arc (genannt »la Pucelle«, das Mädchen), nachmals von Voltaire gewürdigt, von Schiller, Shaw, Brecht, Anouilh u.a. Honegger verfaßt ein Oratorium.
In einem lothringischen Dorf an der Maas geboren, hatten sich bei der Tochter eines wohlhabenden Bauern aus Domrémy seit ihrem 13. Jahr diverse Heilige eingefunden. Zuerst der Erzengel Michael (und später wollen ihre frommen Richter wissen, ob er nackt gewesen). Dann stellen sich ihr die hl. Katharina, die hl. Margareta, weitere vor, und allmählich kann sie alle nach Wunsch herbeizitieren. Doch auch sie bekommt Ordonnanzen, hört fortgesetzt Stimmen, die ihr in den letzten Jahren fast täglich befehlen, die Engländer aus der »France« zu treiben und Karl VII., dem sie sich als »Tochter Gottes« empfiehlt, in Reims zum König zu weihen.
Der Dauphin empfängt die aparte Analphabetin, damals etwa achtzehn, am 6. März 1429 in reichlich aussichtloser Lage in Chinon, einem Schloß an der Loire. Eingehend verhören sie dort und in Poitiers wochenlang Theologen, Juristen, Räte des Fürsten und attestieren ihr Reinheit und Rechtgläubigkeit. Auch die Schwiegermutter Karls und weitere erfahrene Damen bezeugen nach gewissenhafter Exploration ihre Virginität, und so läßt man sie, ritterlich gerüstet, auf edlem Pferd (nie tadelt sie höfischen Prunk, und die Rechnung für das eigene kostbare Outfit schickte sie dem König) mit einem großen Heerhaufen gegen Orléans ziehen. Am 29. April 1429 erobert sie die Stadt, worauf man sie die Jungfrau von Orléans zu nennen beginnt. Sie befreit auch Reims, und am 17. Juli wird dort Karl zum König geweiht.
Längst ist die Stimmung gut, Enthusiasmus entfacht, erhofft man neuen Glanz für das Königtum, erwartet die Befreiung von Paris. Doch da verläßt die männliche Jungfrau ihr Glück. Am 8. September scheitert ihr Vorstoß gegen die von Engländern, Burgundern, vielen Parisern verteidigte Hauptstadt. Ja, am 23. Mai 1430 nimmt sie bei einem Ausfall aus dem umzingelten Compiègne der England ergebene Johann von Luxemburg, Graf von Ligny, gefangen. Und da der Reimser Erzbischof Regnault de Chartres sich weigert, sie loszukaufen, auch der König, der ihr die Krone verdankt, keinen Finger für sie rührt (beiseite einmal, daß er sie nebst Familie im Dezember 1429 nobilitiert), auch später weder an den Papst noch an das Basler Konzil appelliert, wird sie an die britische Regierung verkauft und von dieser, entsprechend dem Drängen der Pariser Universität, einem Inquisitionstribunal überstellt, einer geistlichen, einer französischen Instanz, denn die Briten lechzen zwar nach Rache für ihre militärischen Schlappen durch Johanna, überlassen die »Drecksarbeit« aber den Franzosen.
Unter dem Vorsitz von Pierre Cauchon (gleichlautend mit Cochon, Schwein), dem Bischof von Beauvais, von Jean le Maitre, dem Vize-Inquisitor Frankreichs, sowie mit einem halben Hundert klerikalen Beisitzern (und mehr als hundert Zeugen in Paris, Orléans und Rouen) macht man nun Jean d'Arc zwischen dem 21. Februar und Ende Mai 1431 im Schloß von Rouen den Prozeß, einen ausgesprochen politischen Prozeß, der im Dienst der
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