Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
Rückbank eines viel kleineren Autos. Natürlich hätte sie Zeit, versicherte ihr die Tante ehrenhalber Tru. Sie arbeitete gerade an einer Möglichkeit, die neue örtliche Lotterie zu knacken; deren Netz war jedoch ausgefallen, und so bestand keine Eile. Tom warf Kris einen fragenden Blick zu und gestand, dass er nicht mehr wusste, wann die Menschen aus Kris’ Umgebung übertrieben. Kris lachte und erzählte ihm, dass Tru ihr in der ersten Klasse durch die Grundzüge der Algebra geholfen und Kris sogar deren ersten Computer gegeben hatte. Schließlich trafen sie vor Trus Penthousewohnung ein; hier hatte sich nichts verändert, obwohl ein funkelnder neuer Komplex nebenan emporwuchs.
»Ich dachte, sie wäre Staatsangestellte im Ruhestand, oder?«, fragte Tommy.
»Das ist sie. Sie hat diese Wohnung gekauft, als sie vor fünfzehn Jahren die Lotterie gewann.«
Tom warf Kris einen Seitenblick zu, sagte aber nichts. Kris stockte und überlegte sich noch einmal, was sie gerade gesagt hatte. »Tante Tru würde nie betrügen. Wenn sie die Lotterie jedesmal gewinnen könnte, warum tut sie es dann nicht?«, fragte sie niemand besonderen.
»Eine kluge Frau weiß, wann sie etwas nicht übertreiben darf.« Harvey blinzelte.
Und Kris ertappte sich bei der Frage, wie viel von dem, was sie als Kind fraglos akzeptiert hatte, dringend einer erneuten Prüfung durch die erwachsene Frau bedurfte, die sie heute war.
Dann öffnete Tru die Tür, und Kris fand sich in einer Umarmung epischen Ausmaßes wieder. Mutter fasste sie nie an, und Vater näherte sich Kris überhaupt nicht, aber Tante Tru drückte. Kris ließ die Luft heraus, wie sie es schon so oft getan hatte. Damit verschwanden auch die Enge im Bauch und der Griff der Eisenfaust um den Hals.
Es war Tru selbst, die die Umarmung löste und ihre Gäste insWohnzimmer mit der spektakulären Aussicht auf Wardhaven City führte. Seit Papa Nuus Industriewerke vom Planeten ausgelagert waren, zeigte sich die Hauptstadt von ihrer schönen Seite, mit Bäumen, Boulevards und hochaufragenden Bauwerken, bewässert von den Windungen der Old Miss. Tru hatte von Kris’ Erlebnissen auf Sequim gehört … und es schien, als hätte man das auf den meisten Randwelten. Sogar Bilder ihres Fluges mit dem LSB waren abrufbar, sodass keine Chance bestand, dem Thema aus dem Weg zu gehen, sobald Kris ihrer Mutter begegnete. Mit ein bisschen Glück hatte die aber vielleicht keine Ahnung, was sie da sah.
Tru erzählte kurz Geschichten über die ein oder zwei Gelegenheiten, wie sie selbst im Dreck gelandet und Kugeln ausgewichen war, während sie nach den richtigen Algorithmen suchte, um den ganzen Lärm zu beenden. Jetzt erst bemerkte Kris die gespannten Linien um die Augen ihrer Tante und das kurze Stocken in der Stimme.
Tru schickte sich dann selbst hinaus, um Kräutertee und frisch gepresstes Zitronenwasser für die Gäste zu holen. Das gehörte zu ihren Regeln: keine Gespräche vor ein paar guten, gesunden Erfrischungen. Selbst in Kris’ Säufertagen hatte Trus Zitronenwasser besser geschmeckt als jeder Bourbon. Kris kramte den Computer hervor, den sie vom Tatort auf Sequim mitgebracht hatte. Als Tru mit einem Tablett zurückkehrte, stand er ganz harmlos auf dem Couchtisch.
»Ein kleines Geschenk für dein Tantchen Tru?«, fragte diese und stellte das Tablett ab.
»Ein bisschen alt und ramponiert für ein Geschenk«, wandte Kris ein. »Mehr ein Rätsel. Magst du immer noch Rätsel?«
»Hmm«, sagte Tru und sah sich den Computer kurz an, während sich die Gäste selbst bedienten. Es war ein altes Handgelenkgerät, mindestens 200 Gramm schwer. Er hatte sogar ein altmodisches Display und überspielte nicht auf eine Brille. Truversuchte vergeblich, ihn einzuschalten. »Gelöscht, wenn auch auf recht niedrigem Niveau«, stellte sie fest.
»Kommst du an die Daten?«, fragte Kris.
»Vermutlich«, murmelte Tru und betrachtete das leere Tablett. »Ich dachte, ich hätte noch Gebäck, aber es scheint mir ausgegangen.«
»Ich könnte welches backen«, sagte Kris und sprang auf. Tru hatte ihr alles beigebracht, was sie über Küchen wusste. Das war nicht viel, aber Tru konnte durchaus auf die Schnelle leckere Schokoladenplätzchen backen, und Kris hatte bei der Expertin gelernt.
»Schon überredet«, sagte Tru lächelnd, während ihr Blick weiterhin auf dem Computer ruhte. Während Tru also ihren Küchentisch in ein Hacker-Traumland verwandelte, führte Kris Tom zu einem Sturmangriff auf Trus
Weitere Kostenlose Bücher