Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
in ihrer Nähe aufhielt. Sie war so stark, so unverwüstlich und doch so blind. Sie konnte nicht sehen, dass Lina sie liebte, konnte sich nicht vorstellen, dass Francis es tat.
All das war die Schuld ihres Vaters. Droben, in diesem großen Herrenhaus auf dem Hügel, musste Alexander Hillyard seiner kleinen Tochter, die ihre Mutter verloren hatte, schreckliche Dinge angetan haben, weil Madelaine selbst jetzt noch glaubte, sie sei nicht liebenswert. Das glaubte sie wahrhaftig.
»Lina liebt dich, Maddy. Ich habe dir das schon Millionen Mal gesagt. Sie ist nur durcheinander.«
Madelaine schüttelte ihren Kopf - ganz wie er es von ihr erwartet hatte. »Nein. Ich hätte es ihr sagen sollen.«
»Ja, vielleicht hättest du das, aber das ist jetzt Schnee von gestern.«
»Ich kann das wieder gutmachen. Ich kann es ihr jetzt erzählen.«
Er starrte sie schockiert an. »Das kannst du nicht.«
»Natürlich kann ich.«
Francis erschauerte unwillkürlich. Wenn Madelaine Lina von ihrem wirklichen Vater erzählte, würde alles zusammenbrechen, dieses Scheinzuhause, das Francis für die Familie geschaffen hatte, von der er sich so sehnlich wünschte, sie wäre seine eigene. Er hatte Lina immer als seine Tochter betrachtet. Er war derjenige gewesen, der ihre aufgeschlagenen Knie verbunden hatte, sie im Arm gehalten hatte, wenn sie weinte. Und er hatte Angst - Gott sei ihm gnädig -, er hatte Angst, dass sie ihn nicht mehr wollte, wenn sie erfuhr, wer ihr wirklicher Vater war. Es war falsch, was er sagen wollte - eine furchtbare, schreckliche Sünde -, aber er konnte nicht anders.
»Wecke keine schlafenden Hunde«, sagte er entschlossen. »Er würde ihr ohnehin nur das Herz brechen.«
»Ich habe solche Angst, sie zu verlieren, Francis. Ich kann scheinbar nichts richtig machen.« Sie wandte den Blick von ihm ab und starrte auf die offene Tür. »Ich dachte ... nachdem mein eigener Vater... Ich hatte mir fest vorgenommen, eine gute Mutter zu sein.«
Ihr Schmerz ging ihm zu Herzen. Sie stand neben ihm, nah und doch spürbar fern. Allein wie immer, unberührbar, die Welt herausfordernd, sie nicht anzufassen, und wartete darauf, dass man ihre Schwächen entdeckte und sie ausnutzte. Er trat näher, fasste ihr Gesicht mit beiden Händen und hob ihr Kinn. Sie wirkte so zerbrechlich, so zerbrechlich. »Vergleiche dich nicht mit Alex, Madelaine. Alex war grausam und unerbittlich und gefühllos.«
»Lina glaubt, ich fühle nichts. Sie glaubt, ich bin kalt und perfekt und unbeteiligt.«
»So dumm ist sie nicht, Maddy. Sie ist ein Teenager mitten in der Entwicklung, völlig durcheinander und von Hormonen gesteuert.«
»Nein, so ist es nicht. Sie ist wie ... er. Du weißt, dass sie so ist.«
Francis wünschte, er könnte lügen, aber Madelaine hatte Recht. Lina war genauso wie ihr Vater. Rebellisch, ungezügelt, temperamentvoll. Die Art von Menschen, die unbekümmert und leichtsinnig sind - und manchmal gegen Mauern prallen. Die Art von Menschen, die sich mit siebzehn auf und davon machen können, ohne je zurückzuschauen.
»Nein. Sie ist klüger als er«, sagte er schließlich und wollte nur zu gerne seinen eigenen Worten glauben. »Sie mag jetzt verrückt sein, aber sie liebt dich. Andernfalls würde sie sich nicht so darum bemühen, deine Aufmerksamkeit zu erringen.« Er starrte in ihre riesigen, von Schmerz verdunkelten Augen und hatte das Gefühl, als würde er in dem Bedürfnis, sie zu halten, ertrinken. Gott, er wünschte, dies wäre sein Augenblick, seine Tochter, seine Frau, sein Leben. Ohne nachzudenken, beugte er sich zu ihr und zog sie an sich, küsste sie sanft und zögerlich auf die Stirn. Gefühle durchstürmten ihn, ließen das Blut in seinem Kopf hämmern, und er wusste, dass er zu weit gegangen war, sie zu lange geküsst hatte...
Sie wich zurück. »Francis? Was war...«
»Sie liebt dich, Madelaine«, flüsterte er auf ihre Haut, »so wie ich.« Die Worte schlüpften heraus, Worte, die zu sagen er vorher nie den Mut gehabt hatte. Aber jetzt schien das die natürlichste Sache der Welt zu sein.
Sie wich noch weiter zurück und blickte zu ihm auf.
Er beugte sich vor, wollte sie wieder küssen, wartete atemlos darauf, dass sie sprach.
Plötzlich lächelte sie. »Oh, Francis, ich liebe dich auch. Ich weiß nicht, was ich ohne deine Freundschaft tun sollte.«
Die Worte trafen ihn bis ins Mark. Er streichelte ihr seidiges Haar und hielt sie fest. Tränen brannten in seinen Augen. Er war ein Feigling - ein Mann, dessen
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