Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Angel wusste, dass dies nicht real war.
Tränen glänzten in Madelaines Augen und er wollte sagen: Weine nicht um mich , aber er konnte nicht sprechen.
Seine Augenlider senkten sich wieder, fielen einfach zu. Er hörte Dr. Arches singende Stimme, die redete und redete und redete...
Dann verlor er das Bewusstsein.
Madelaine trat beiseite und verfolgte die Operation.
Chirurgen und Assistenzärzte und Krankenschwestern hatten sich um den Tisch versammelt, arbeiteten an Angel, stießen, stachen, führten Schläuche ein, verfolgten jeden seiner Atemzüge, jeden Puls seines Blutes durch sein Herz und seine Adern. Er war intubiert und katheterisiert und sein Körper war wieder mit Jod abgewaschen worden. Dann hatte man ihn in frische sterile Laken gehüllt. Sein Haar war mit einer blauen Papiermütze bedeckt und winzige Streifen weißen Klebebandes hielten seine Augenlider geschlossen. Der einzige freiliegende Teil seines nackten Körpers war ein schmaler Streifen von Brust und Oberbauch, ein orangefarbener Gürtel von Haut, bedeckt mit straffer, klarer Folie und umgeben von blaugrünen Laken. Ein entmenschlichter Flecken von Farbe, der Lichtjahre entfernt von Angels freundlichem Lächeln oder seiner schwadronierenden Persönlichkeit oder seinem überbordenden Temperament war.
Der Patient.
Madelaine versuchte, ihn so zu sehen, versuchte kühl und distanziert zu sein, Ärztin zu sein. Aber als Chris nach dem Skalpell griff, seine rasiermesserscharfe Spitze an Angels Halsansatz setzte, zuckte sie zusammen.
Sie schloss instinktiv ihre Augen, und als sie das tat, merkte sie, dass sie in der Zeit an einen anderen Ort zurückreiste. Ein Riesenrad auf einem billigen kleinen Jahrmarkt, eine stürmische Fahrt mit dem Jungen ihrer Träume. Sie spürte, wie er seinen Arm um sie legte, wie er über die nackte Haut ihres Armes fuhr. Ich liebe dich, Mad.
Sie hörte das winselnde Summen einer elektrischen Säge und hielt ihre Augen geschlossen. Sie wollte nicht sehen, wie sie ihm seine Brust aufschnitten, nicht sehen, wie sein Blut über den sterilen kleinen Flecken von Grün rann, auf den Linoleumboden spritzte.
»Brustspreizer«, bellte Allenford.
Madelaine zuckte zusammen und versuchte weiter, an den Jahrmarkt zu denken. Das war ihr letztes Zusammensein als Liebespaar gewesen. Und was für eine zauberhafte Zeit das gewesen war. Sterne überall, der Duft von Popcorn, das ferne Kreischen von Menschen unten auf dem Wege. Sie erinnerte sich an die Ohrringe, die er für sie gewonnen hatte, an die feierliche Art, wie sie den billigen Schmuck als Erinnerung an ihre Liebe vergraben hatten.
Sie dachte an Francis, den sanften, liebenden Francis, und an das Geschenk, das er seinem Bruder gab, das Wunder, das nur wenige Meter von ihr entfernt stattfand.
»Bypass bereithalten.«
Madelaine öffnete ihre Augen. Sie wollte sich nicht bewegen und sah sich doch außer Stande zu bleiben, wo sie war, machte ein paar Schritte auf den Tisch zu. Sie sah augenblicklich, wie weit sie mit der Operation waren - Angels Brust war ein rotes, klaffendes Loch in dem chirurgischen Gewebe. Kanülen waren eingeführt und in das Herz genäht worden, sie waren eifrig damit beschäftigt, Angel mit der Herz-Lungen-Bypass-Maschine zu verbinden.
Alle atmeten scharf und hörbar ein, als die Bypass-Maschine eingeschaltet wurde. Der flache Apparat begann zu surren und zu pochen und zu pumpen. Ein Techniker überwachte die Funktion des Gerätes und sagte: »Sieht alles gut aus, Dr. Allenford.«
»Okay«, sagte Chris und griff nach seinen Instrumenten, »machen wir weiter.«
Madelaine trat näher an den Tisch, ihren Blick auf die Operation gerichtet. Sie bewegte sich zentimeterweise vorwärts, beobachtete, wie Chris' blutige, behandschuhte Hände arbeiteten. Er entfernte Angels lädiertes Herz und reichte es, noch immer schlagend, dem Pathologen, der es in eine Metallschale legte und damit verschwand.
Dann griff Chris über den Tisch und nahm Francis' Herz in seine Hände. Es sieht so gewöhnlich aus, dachte sie, ein blassrosa Klumpen, in dem einmal Francis' Seele gesteckt hat.
Chris betrachtete das schlaffe Organ, senkte es dann tief in Angels Brust.
Es dauerte fast anderhalb Stunden, um das neue Herz an seinem Platz zu fixieren. Schließlich schaute Chris zu dem Perfusionisten hinüber, der die Bypass-Maschine überwachte. »Okay, wärmen wir ihn auf.«
Chris setzte die letzten Nähte in die Lungenarterie und dunkelrotes, warmes Blut begann in das Herz
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