Kristin Lavranstochter 1
unzuverlässig war, wußten doch alle, die gleichen Standes mit ihm waren. Allerdings, er war Frau Ingebjörgs und des Kronanwärters Verwandter; er hatte in den letzten Jahren eine gewisse Macht und ein gewisses Ansehen genossen, er war in der Kriegführung nicht so ganz ungeübt wie die meisten in seinem Alter, und er stand in dem Ruf, Kriegsleute gewinnen und führen zu können - und obwohl Erlend sich oftmals unverständig gezeigt hatte, konnte er doch seine Rede gut und wohlbedacht Vorbringen, so daß man versucht war, zu glauben, er sei nun mit der Zeit durch Schaden klug geworden. Wahrscheinlich hatten einige Männer um Erlends Vorhaben gewußt und ihn angespornt, aber es würde Simon gewundert haben, wenn sie sich so fest an ihn gebunden hätten, daß sie sich jetzt nicht abwenden und Erlend ohne Rückendeckung dastehen lassen könnten.
Simon glaubte verstanden zu haben, daß Erlend selbst nichts anderes erwartete, er schien darauf gefaßt zu sein, für sein gewagtes Spiel teuer büßen zu müssen. „Wenn die Kuh im Sumpf steckt, muß der sie beim Schwanz fassen, dem sie gehört“, sagte er und lachte ein wenig. Sonst hatte ja Erlend im Beisein eines Dritten nicht viel sagen können.
Simon wunderte sich selbst darüber, daß das Wiedersehen mit dem Schwager ihn so erschüttert hatte. Aber die kleine, enge Turmkammer, in der Erlend ihm einen Platz auf dem Bett anbot - das Bett reichte von einer Wand zur anderen und füllte den halben Raum aus Erlends aufrechte, schlanke Gestalt, wie er bei dem kleinen Luft- und Lichtloch an der Mauer stand, völlig furchtlos, mit klaren Augen, weder von Besorgnis noch von Hoffnung getrübt, ein frischer, kühler, männlicher Bursche, nun, da all dieses schwüle Getue von Liebschaften und Weibergeschwätz von ihm abgefallen war... Trotzdem es
Frauen- und Liebeshändel waren, die ihn mit all seinen kühnen, jetzt zerschlagenen Plänen hierhergebracht hatten, noch ehe er sie in die Welt hatte hinaussetzen können. Aber daran schien Erlend selbst nicht zu denken. Er stand da wie ein Mann, der das dreisteste Spiel gewagt und verloren hat und die Niederlage männlich und stark zu tragen weiß.
Und gut kleidete ihn seine erstaunte und frohe Dankbarkeit, als er den Schwager sah. Simon hatte zu ihm gesagt:
„Weißt du noch, Schwager, die Nacht, in der wir zusammen bei unserem Schwiegervater wachten? Wir gaben einander die Hand, und Lavrans legte die seine darauf - wir versprachen einander und ihm, unser Leben lang wie Brüder zusammenzuhalten.“
„Ja.“ Über Erlends Gesicht leuchtete ein Lächeln. „Ja, Lavrans dachte dabei gewiß nicht daran, daß du jemals meiner Hilfe bedürfen würdest.“
„Es war doch am wahrscheinlichsten“, sagte Simon unerschütterlich, „daß er meinte, du in deinen Verhältnissen könntest mir eine Stütze werden und nicht, du würdest meine Hilfe brauchen.“
Erlend lächelte wie zuvor.
„Lavrans war ein kluger Mann, Simon. Und so seltsam es sich anhören mag - ich weiß, daß er mich gern hatte!“
Simon dachte, ja, das möge Gott wissen, daß dies seltsam sei, aber er selbst - trotz allem, was er über Erlend wußte, und trotz allem, was jener ihm zugefügt hatte -, er konnte sich nicht dagegen wehren, daß er nun etwas wie die Zärtlichkeit eines Bruders gegen Kristins Gemahl empfand. Da fragte Erlend nach ihr.
Simon erzählte, wie er sie angetroffen hatte, krank und voller Angst um ihren Mann. Olav Hermannssohn hatte versprochen, zu erwirken, daß sie sofort nach der Rückkehr Herrn Baards zu ihm kommen dürfe.
„Nicht ehe sie gesund ist!“ bat Erlend rasch und ängstlich. Die seltsame, mädchenhafte Röte irrte über sein braunes und unbarbiertes Gesicht. „Das einzige, was ich fürchte, Simon, ist, daß ich es nicht ertragen könnte, ihr zu begegnen!“
Aber kurz darauf sagte er ruhig wie zuvor:
„Ich weiß, daß du ihr getreu zur Seite stehen würdest, wenn sie in diesem Jahr Witwe werden sollte. Arm werden sie doch wohl nicht, sie und die Kinder, mit ihrer Erbschaft von La-
vrans. Und dann hätte sie dich in der Nähe, wenn sie auf Jörundhof wohnen würde.“
Am Tag nach Mariä Geburt kam der Reichsverweser, Herr Ivar Ogmundssohn, nach Nidaros. Es wurde nun ein Gericht von zwölf Herren, die dem König den Treueid geleistet hatten, aus den Nordgauen zusammenberufen, um in Erlend Nikulaussohn Sache das Urteil zu fällen. Herr Finn Ogmundssohn, der Bruder des Reichsverwesers, war dazu bestimmt worden, die Anklage
Weitere Kostenlose Bücher