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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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war gleich nach seiner Ankunft in Sofia eine Glatze geschoren worden, Stepan hatte sein rabenschwarzes, dichtes, leicht lockiges Haar behalten dürfen. Wegen seiner Landesmeisterwürden, wie er vermutete. Lenz befürchtete, ebenfalls bald unter Schere und Rasierapparat zu geraten; als man ihn zum »Friseur« führte, erhielt er aber nur eine Nassrasur. Eine Schonbehandlung, die auch seine beiden Mitgefangenen verwunderte. War Lenz ebenfalls eine bekannte Persönlichkeit? Wollte er ihnen das nur nicht verraten?
    Es war wieder nur eine Zweierzelle, in der sie zu dritt lagen, und sie war noch ein wenig schmaler und kürzer als die in Burgas. Doch waren sie hier in keinem muffig-feuchten Kellerverlies untergebracht, sondern im ersten Stock eines Neubaus mitten in der Stadt. So war es zwar heiß und stickig, aber nicht ganz so schwül in dem engen Raum, obwohl es wiederum kein Fenster gab. Eine Luftklappe über der Tür sollte den Luftaustausch besorgen. Hinter der Tür lag ein Flur mit zugehängten Fenstern zur Straße hin; abends wurden die Fenster kurz geöffnet, um Frischluft in den Flur und durch die Luftklappe auch in die Zellen dringen zu lassen. Gleich über der Luftklappe funzelte auch hier bei Tag und Nacht eine schwache Glühbirne.
    Die beiden Matratzen, von denen sie nicht runterkamen, weil es keinerlei Möglichkeit gab, die Beine zu vertreten, bedeckten ein etwa vierzig Zentimeter hohes, knapp zwei Meter breites und ebenso langes Holzpodest. Es füllte die Zelle in ihrer ganzen Breite aus; allein zwischen Podest und Tür blieb ein schmaler Streifen Holzfußboden frei. Links neben der Tür stand der Pinkeleimer, rechts die große, grüne, bauchige Plastikkaraffe mit Wasser.
    Eine Karnickelbucht! Nur wenn sie in den Waschraum oder zur Toilette geführt wurden oder es zur zwanzigminütigen Freistunde aufs Dach des fünfstöckigen Untersuchungsgefängnisses ging, machte es einen Sinn, sich von den Matratzen zu erheben. Wie siamesische Drillinge lagen sie von morgens bis abends und auch in der Nacht nebeneinander.
    Gab es etwas zu essen – morgens graues, bröckliges Brot für den ganzen Tag, mittags eine dünne, rötliche Suppe, in der stets nur sehr wenig, aber dafür umso fetteres Fleisch schwamm –, stellten sie die Füße auf den schmalen Streifen Fußboden und kauten und löffelten, und Sefik schmatzte so gierig, als wollte er sich selbst beweisen, dass er noch am Leben war. Musste einer von ihnen wegen größerer Geschäfte tagsüber aufs Klo, klopfte er an die Zellentür. Hatte man Glück, war einer der schläfrig-phlegmatischen Schließer gerade im Flur unterwegs und man wurde von ihm und einem seiner Kollegen zur Toilette geführt. Wieder ein Hockklo, wieder eine, diesmal stark nach Desinfektionsmittel stinkende Pissrinne. Hatte man Pech und wurde nicht gehört, blieb man mit sich und seiner Not allein. Das brachte Lenz einmal dazu, laut zu werden. Wütend hämmerte er gegen die Tür – »Tualet! Tualet!« –, bis die Schließer zu dritt herangestürmt kamen, die Tür aufrissen, ihn in die Zelle zurückstießen und zornig beschimpften. Zur Toilette brachten sie ihn an diesem Tag nicht.
    Außerhalb der Zellen, gleich neben den Türen, waren kleine Fächer in die Wand eingelassen. In denen lag, was die Untersuchungsgefangenen an Besitz bei sich haben durften: Zahnbürste, Zahncreme, Seife, Zigaretten und – falls notwendig – die Brille. An den Zigaretten bedienten sich die Schließer nach Lust und Laune; wurden sie darauf angesprochen, lachten sie oder wurden böse. Sie klauten auch in der Effektenkammer. Und klauten sie nicht, ließen sie sich beschenken. Wer sich bei ihnen einschmeichelte, wurde ein wenig kulanter behandelt.
    Drei Tage, die nicht vergehen wollten, drei Nächte, in denen Lenz keinen Schlaf fand. Und schlief er doch für kurze Zeit ein, träumte er von Hannah und den Kindern, erlebte mit ihnen die furchtbarsten Situationen, wollte ihnen helfen und konnte es nicht. Dann schrak er auf, sein Puls jagte, die Stirn war heiß. Nur gut, dass es Stepan gab. Der Sofioter Meisterboxer nahm seine Götterrolle hin wie ein ihm zustehendes Geschenk, spielte aber nicht den Star, zu dem die Schließer ihn machten, sondern sah es als seine Aufgabe an, seinen beiden ausländischen Mitgefangenen ein guter Gastgeber zu sein. Immer wieder versuchte er, sie aufzurichten. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, diesen Spruch kannte man auch in Bulgarien. Und tatsächlich, Stepans Solidarität

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