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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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musste sie wärmen; Schnaps, der auch lustig machte, weshalb es Lenz oft schwer fiel, ernst zu bleiben, wenn er mit Bombay oder Düsseldorf telefonierte. Er stellte sich vor, was seine Gesprächspartner für Gesichter machen würden, wüssten sie, in welcher Aufmachung und mit wie viel Promille im Blut er mit ihnen kommunizierte. Ein Gedanke, über den auch die drei, vier Kolleginnen lachen mussten, mit denen er den Raum teilte. Einmal jedoch lockerte ihm der Alkohol etwas zu sehr die Zunge, und er lästerte über den bösen Winter, der im Osten immer zu so überraschenden Jahreszeiten hereinbrach. Es wurde weitergetragen und der Kontordirektor rief ihn zu sich: Lenz solle seine kritischen Äußerungen für sich behalten, schließlich frören sie alle. »Es gilt mitzuhelfen, Engpässe zu beseitigen, anstatt sich über sie lustig zu machen.«
    Da hätte das Krokodil am liebsten gleich wieder die Firma gewechselt. Was sollte er denn noch in diesem Schmetterlingshorst, in dem alles verziehen wurde, nur eben kein Hauch eigene Meinung? Aber: War es woanders denn besser?
    Lenz kündigte nicht, und so dauerte es nicht lange, bis er erneut ins Fettnäpfchen trat. Die FDJ-Leitung hatte beschlossen, dass jedes Mitglied zu dem an den Dienstagen nach Büroschluss stattfindenden FDJ-Schulungen im Blauhemd zu erscheinen hatte. Und das Hemd sollte schon morgens getragen werden. Wer es trug, bekam Pluspunkte, wer es nicht trug, Minuspunkte. Lenz hatte diese abendliche Zeitverplemperei schon immer gehasst, nun fühlte er sich endgültig zu alt für die Jugendorganisation und beantragte seinen Austritt. Dass er nie in seinem Leben ein Blauhemd besessen hatte und sich auch keines anschaffen wollte, behielt er für sich.
    Man klärte ihn darüber auf, dass es die Möglichkeit gab, auch als älterer Kader Mitglied der FDJ bleiben zu dürfen – als »Freund der Jugend« –, und dass das Tragen des Blauhemds nun mal eine bekenntnishafte Bedeutung habe. Es sei beobachtet worden, dass viele FDJler neuerdings darauf verzichteten, sich zu ihrer Organisation zu bekennen; dem müsse man entgegenwirken. Ob Lenz das nicht einsehen könne?
    Lenz konnte es nicht einsehen, doch natürlich durfte er das nicht sagen, und so kam es am Ende zu einem Kompromiss: Lenz wurde »Freund der Jugend«, musste das FDJ-Hemd aber nicht tragen, da er ja auch an Dienstagen mit unverhofften Kundenbesuchen aus dem westlichen Ausland rechnen musste. Dass er sich jedes Mal erst schnell umzog, konnte man nicht verlangen. Andere profitierten von dieser Lex Lenz; das Krokodil aber machte sich Gedanken über den Unterschied zwischen einem klugen und einem faulen Kompromiss.
    Ein paar Wochen ging alles gut, dann stand Lenz wieder im Rampenlicht: Er nahm zu selten an den Brigadeabenden teil, torpedierte die Brigadearbeit. Man stand im Kampf um den Titel Brigade der sozialistischen Arbeit , hatte sich verpflichtet, auf sozialistische Art zu arbeiten, zu lernen und zu leben. Dazu gehörte der gemeinsame Besuch fortschrittlicher Filme, der monatliche Theaterbesuch, die Teilnahme an Vorträgen, gemeinsame Museumsbesuche, gemeinsame Ausflüge, Teilnahme an Parteischulungen, Teilnahme am Gewerkschaftsleben, Mitarbeit in der Hausgemeinschaft und immer so weiter. Lenz liebte das Theater und ging nach wie vor gern ins Kino, aber eben lieber mit Hannah als mit der Brigade. Er hatte auch nichts gegen Museumsbesuche – aber doch bitte nicht als Herde! Dennoch nahm er die Kritik an, versprach, sich zu bessern, und latschte von nun an öfter mit.
    Immer häufiger warf das Krokodil ihm Knochenlosigkeit vor, und Lenz blieb nichts anderes übrig, als ihm Recht zu geben. Oft konnte er nachts nicht schlafen, stand auf und blickte aus dem Fenster. Wie lange sollte das denn noch so weitergehen? Wollte er sein Leben lang »toter Mann« spielen, Abseitssteher und Kompromissler sein?
    In diesen Nächten schrieb er viel – und hatte das Gefühl, dass seine Texte immer besser wurden. Manchmal schrieb er, wenn er endlich eingeschlafen war, noch im Traum weiter, schreckte auf und wusste, dass er schreiben konnte. Ganze Romananfänge sagte er sich in manchen Träumen auf. Aber würde er denn jemals erfahren, wie weit sein Talent reichte?
    Er sprach mit Hannah über seine Träume, zeigte ihr seine Texte. Wie aber hätte sie ihm helfen sollen, sie litt ja selbst. Was der Staat mit ihren Kindern machte! Wie sie sich im Betrieb durchlavieren musste, um nicht in die FDJ eintreten zu müssen oder in

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