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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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irgendeine andere dieser vielen Organisationen, die allein die Aufgabe hatten, die Menschen zu erfassen und im Interesse des Staates zu beschäftigen. Wie sie es hasste, jedes Mal, wenn ihr Bruder Jo kam, eine Besuchsmeldung abgeben zu müssen; wie sie die jährlichen »Wasserstandsmeldungen« anwiderten: Wie oft hatte sie West-Besuch empfangen, wie viele Pakete im Jahr schickte der Bruder, wie viele Briefe flogen hin und her, gab es Telefonkontakte?
    Zwei, die unglücklich waren in einer glücklichen Familie, konnte es so etwas denn überhaupt geben?
    Schlimm waren die Wochentage, noch schlimmer die Wochenenden, wenn Zeit zum Nachdenken war: Nein, so wie es war, durfte es nicht weitergehen! Doch was konnten sie tun? Gab es irgendeine Möglichkeit, ihr Leben zu ändern? Gab es Ausweichmöglichkeiten, Chancen für einen Neubeginn?
    Still! Nicht so laut! Die Kinder dürfen nichts merken. Sehen sie, dass ihre Eltern leiden, leiden sie auch. Also machen wir es ihnen schön, unternehmen Ausflüge, gehen Eis essen, ins Kino, ins Puppentheater. Erfreuen wir uns daran, dass wir uns haben.
    Im Frühjahr und Herbst ging’s zur Leipziger Messe. Da erklärte sogar das Neue Deutschland den Kalten Krieg ein paar Tage lang für beendet; es gab keine Imperialisten mehr, sondern nur noch Geschäftspartner. Da erreichte die Paarungswilligkeit der Schmetterlinge ihren Höhepunkt, wurden Messe-Ehen geschlossen und gebrochen und neue Konstellationen ausprobiert; Gelegenheit macht Liebe, wir sind so frei. Was sind wir frei!
    Lenz interessierten an der Messe vor allem die Treffen mit ausländischen Partnerfirmen. Ein Blick über den Zaun, das Gefühl, noch irgendwie dazuzugehören. Wie erheiternd, wenn er dann zu einem Gegenbesuch nach Bombay, New York oder Stuttgart eingeladen wurde und in seinem Terminkalender blätterte: April, Mai, Juni? Man wusste, dass er wahrscheinlich nie kommen würde, er aber machte Reisepläne und seine Besucher spielten mit.
    Am Ende der Gespräche war er jedes Mal verpflichtet, vorsichtig ein bisschen politisch zu werden. Man wollte die internationale Stimmungslage testen: »Was sagen Sie denn so zu den aktuellen Weltereignissen?« – »Wie schätzen Sie die Aufbauleistungen der DDR ein?« – »Die Situation in Vietnam, im Nahen Osten, die neuesten Vorschläge der Sowjetunion zur Entspannung zwischen Ost und West …« Solche Fragen anzuschneiden, ohne dass der »Gegner« ein Aushorchen argwöhnte, war ohne ein gewisses schauspielerisches Talent kaum möglich; auszuklammern aber waren diese Verhandlungspunkte nicht, denn nie durfte einer von ihnen eine Verhandlung allein führen. Entweder war ein Vorgesetzter oder eine Sachbearbeiterin dabei.
    Lenz entwickelte für diese »Nachtisch-Gespräche« seine Grinse-Methode weiter, quatschte drauflos wie ein Bierkutscher nach dem fünften Doppelkorn und grinste dabei so heftig, dass seine Gegenüber gleich Bescheid wussten und über den Sozialismus lauter Freundlichkeiten sagten. In seinen Verhandlungsberichten walzte Lenz diese Aussagen dann breit, bis nur noch eine Frage offen blieb: Wann würden jene begeisterten Sympathisanten in die DDR überwechseln und ihren Antrag auf Aufnahme in die SED übergeben?
    Satire, diese Gespräche und Berichte. Jeder wusste, was erwartet wurde, also lieferte er das Verlangte. Genügte es nicht, dichtete die nächsthöhere Dienststelle noch etwas hinzu. Ganz oben freute man sich dann über die auf diese Weise perfekt frisierten Berichte, die mal wieder bestätigten, dass die von den westlichen Medien so arg gescholtene hässliche Kröte DDR in Wahrheit eine wunderschöne Prinzessin war.
    Ob es dem einen oder der anderen gefiel oder nicht, Lenz hatte Erfolg. Viele der Geschäfte, die er für intermed tätigte, liefen schon seit Jahren, er brauchte sie nur fortführen, andere hatte er angebahnt und zum Abschluss gebracht. Den Plan zu erfüllen – das Maß aller Dinge – bereitete ihm keine Schwierigkeiten. So kam man nicht umhin, als eines Tages ein neuer Brigadier – eine Art Gruppenleiter – gesucht wurde, auch über ihn nachzudenken. Seine Leistungen stimmten, die notwendige Qualifikation – ein abgeschlossenes Studium – war in Sicht, was sprach dagegen, ihm diesen Posten anzutragen?
    Sein kritischer Blick und sein mangelndes Interesse an gesellschaftlichen Aufgaben sprachen dagegen. Was sich aber vielleicht ändern würde, schnupperte er erst mal an der Karriereleiter. Doch dazu musste er in die Partei eintreten; man

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