Krokodil im Nacken
erhob sich. Der Fall sei ja klar, begann er sein Plädoyer mit entschuldigendem Blick auf Lenz und Hannah. Die den Angeklagten vorgeworfenen Tatbestände seien erwiesen und ja auch freimütig gestanden worden.
Wie gut, dass er das gesagt hatte! Da konnte Lenz doch wenigstens wieder lächeln: Ihr Verteidiger argumentierte nicht anders als die Staatsanwältin! – Verdammt noch mal, Hannah und er hatten keinen illegalen Grenzübertritt, sondern nur die Vorbereitungen dazu gestanden. Und die »staatsfeindliche Verbindung« war niemand anderes als Hannahs Schwester.
Missbilligende Blicke vom Richtertisch und von der Staatsanwältin, unter den Stasi-Beobachtern mal wieder Gemurmel.
Der irritierte Dr. Rose fuhr fort, indem er sich bemühte, wenigstens im Fall der Hannah Lenz – »der Mutter, die keine Rabenmutter ist und nie eine war« – eine Strafminderung zu erreichen. Doch sagte er das nur so hin, er untermauerte es nicht, brachte keine Zeugenaussagen, die bestätigt hätten, was für eine gute Mutter Hannah Lenz immer gewesen war. Zeugen hätten nicht hierher gepasst; sie wären ja auch zu Zeugen dieses Prozesses geworden, hätten darüber berichten können, wie in der DDR Recht gesprochen wurde.
Zum Abschluss seines Plädoyers wies dann auch Dr. Rose noch einmal darauf hin, dass seine beiden Mandanten nicht vorbestraft seien, und erinnerte an ihre tragische Jugend. Beide Angeklagten hätten früh die Mutter verloren, beide seien sie ohne wirklichen Vater aufgewachsen. Das ungünstige Kindheitsmilieu müsse bei der Bemessung der Freiheitsstrafe – auch unter Beachtung der Schwere der Tat – unbedingt berücksichtigt werden. »Die Frau Staatsanwältin hat meine Mandanten als charakterschwach und kriminell bezeichnet. Ich sehe in ihnen zwei fehlgeleitete junge Menschen, denen man noch eine Chance geben sollte.«
Lenz, laut: »Das sehen meine Frau und ich anders. Wir waren nicht ›fehlgeleitet‹; wir waren genau auf dem für uns richtigen Weg.«
Das wäre das Schlimmste, was ihnen passieren konnte, diese zweite »Chance«.
Der Richter, verärgert: »Sie haben jetzt nicht das Wort, Angeklagter. Sie werden später noch Gelegenheit haben, sich zu äußern.«
Dr. Rose salbaderte noch ein bisschen weiter, dann ließ er sich auf seinen Platz fallen, wischte sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und lächelte Hannah traurig zu. Wieder so ein Mehr-ist-nicht-drin-Blick.
Nein, mehr war nicht drin. Deshalb hatte er auch nicht konkret ein niedrigeres Strafmaß verlangt, ihr Herr Verteidiger, und in Hannahs Fall nur die lange Zeit zu bedenken gegeben, in der die Kinder keine Mutter haben und auf diese Weise mitbestraft werden würden, obwohl sie nichts zu verantworten hätten. Was hätte er dann aber auch sonst sagen sollen? Hätte er den Staat wegen Rechtsbeugung anklagen sollen? Er hatte hier seinen Job gemacht, dieser Dr. Rose, einen äußerst undankbaren noch dazu, sollte er in Ruhe sein Honorar kassieren.
Der Richter flüsterte erst mit der Schöffin, dann mit dem Schöffen. Sicher wollte er wissen, ob sie noch Fragen hätten. Doch die gestrenge Mutti und der gelangweilte junge Mann hatten noch immer keine Fragen, waren rundum zufrieden mit dem Verlauf der Verhandlung.
Ob Hannah noch etwas sagen wollte?
Erst nickte sie nur stumm, dann trat sie vor und erklärte, dass sie und ihr Mann niemals irgendwelche Fluchtpläne geschmiedet hätten, wenn es eine Möglichkeit zur legalen Ausreise gegeben hätte. Nun, da man ihnen wiederholt vorgehalten habe, es versäumt zu haben, sich um eine legale Ausreise zu bemühen, nehme sie an, dass es diese Möglichkeit doch gebe. Deshalb wolle sie ab sofort alles unternehmen, um zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern auf legale Weise in die Bundesrepublik ausreisen zu dürfen.
Sie bat nicht um Milde, sie entschuldigte sich für nichts, sie erinnerte das Gericht nicht an das Leid ihrer Kinder; es kostete Lenz Kraft, nicht aufzuspringen, um Hannah zu umarmen. Sollten die da sie ruhig verurteilen, es gab Situationen, da blieb der Ohnmächtige Sieger.
Auch er bekam noch einmal das Wort erteilt, doch hatte er Hannahs Ausführungen nichts hinzuzufügen. Seine Frau habe auch für ihn gesprochen, sagte er nur und wollte sich wieder setzen. Aber der Richter pfiff ihn zurück. »Wann Sie wieder Platz nehmen dürfen, bestimme ich.«
Lenz blieb stehen, der Richter blätterte in den Akten. »Den Vernehmungsprotokollen entnehme ich, dass sie bereit wären, einen zweiten
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