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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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hinaustreten. Die vier Häftlinge, die vor ihm hatten aussteigen dürfen, trugen ebenfalls Handschellen und wussten nicht, was für Gesichter sie machen sollten. Lächeln? Grinsen? Ernst bleiben?
    »Guten Tag!« Mit seinem Kuchen und der Plastiktüte in den Händen stellte Lenz sich neben sie und blickte genauso hilflos in die Runde. Eine Minute später durfte er sich freuen: Als sechster und letzter Häftling verließ ein bekanntes Gesicht den Gefangenentransporter – Detlef Dettmers, der lange, dürre Philosophiestudent mit der Nickelbrille, mit dem er schon von Burgas nach Sofia und von Sofia zurück nach Berlin auf Transport gegangen war; der lustige Bursche, mit dem er im Zug die komische Oper aufgeführt hatte.
    Auch Dettmers freute sich über die Wiederbegegnung. »Alles gut überstanden?«, begrüßte er Lenz.
    »Kann man so sagen.«
    »Und wie viel?«
    »Zwei, zehn.«
    Da grinste er gleich wieder, der lange, inzwischen noch dünner gewordene Dettmers. »Unsere Gemeinsamkeiten häufen sich. – Und ihr?«, wandte er sich den anderen Männern zu. »Wie viel haben sie euch aufgeladen?«
    »Drei, zehn.«
    »Zwei, zehn.«
    »Zwei, vier.«
    »Drei, zehn.«
    Der zuletzt geantwortet hatte, ein hübscher, schlanker Lockenkopf, seufzte.
    »Aber doch nicht nur dafür?« Dettmers ließ die Hand fortfliegen.
    »Sie haben mir noch ein bisschen was anderes draufgepackt.«
    Der ältere Häftling mit der dicken Hornbrille und den Unmengen von Sommersprossen unter dem dichten, weißen Haarschopf, der ebenfalls drei Jahre und zehn Monate bekommen hatte, zog die Nase hoch und spuckte aus. »Die ham Standardstrafen. Schema F. Da müssen se nich so ville nachdenken.«
    »Und eure Rechtsanwälte?«, wollte Dettmers wissen. »Wie heißen die?«
    Viermal Dr. Vogel, einmal ein Name, den Lenz nicht kannte.
    »Also zu fünfundachtzig Prozent Ornithologen, die Herren!« Dettmers strahlte zufrieden und Lenz horchte auf: Wusste der lange Student ebenfalls Bescheid? Dann sollten sie unbedingt versuchen, auf eine Zelle zu kommen, damit sie ihr Wissen austauschen konnten.
    Sie hatten dieses kurze Gespräch relativ unbeobachtet geführt; die Stasi-Männer neben dem Gefangenentransporter schienen sich nicht mehr für sie zu interessieren. Dafür trat nun ein älterer Beamter in dunkelblauer Uniform auf sie zu, um ihre Übernahme in den Strafvollzug vorzunehmen. Ein jüngerer Kollege schaute ihm dabei über die Schulter, als wäre das Abhaken von Namen eine Wissenschaft für sich.
    Wenig später wurden ihnen die Handschellen abgenommen, und der jüngere Strafvollzugsbeamte befahl: »Einrücken!« Es ging ein paar Stufen hoch und durch eine hohe, schmale Tür und schon befanden sie sich in einem nur schwach beleuchteten Zellengang. Drei der grau angestrichenen Türen standen offen. »Immer zwei in einen Verwahrraum!«, befahl der junge Wachtmeister, ein rundes Kindergesicht.
    Dettmers und Lenz blickten sich nur kurz an, dann nahmen sie gleich die erste Zelle in Beschlag.
    Eine Einmannzelle, allein die drei übereinander gestellten und miteinander verschraubten Metallbetten prädestinierten diesen nur durch eine trübe Deckenlampe erhellten, schmalen Raum zu höheren Aufgaben. Rechts vom obersten der in der linken Wand verankerten Betten befand sich ein kleines, von außen durch Gitterstäbe geschütztes Fenster, zwischen Tür und Betten rosteten ein Spülklosett und ein Handwaschbecken vor sich hin. Drei Hocker und der schon ein wenig morsche Wandklapptisch voller eingekratzter Inschriften, der die Lücke zwischen Klo und Waschbecken ausfüllte, komplettierten die Einrichtung dieses düsteren, feuchten Lochs.
    »Sehr anheimelnd!« Dettmers war dafür, gleich mal einen Plan zu machen, wer zu welchen Zeiten in diesem schmalen Handtuch auf und ab marschieren durfte. »Sonst rennen wir uns immer wieder gegenseitig um.« Als Lenz nichts antwortete, öffnete er den Wasserhahn. Es prustete und gluckste in der Leitung, aber dann kam tatsächlich etwas Braunes heraus. Dettmers seufzte. »Sehr schön! Wenn du dich hier wäschst, brauchst du nie mehr in die Sonne.«
    Lenz starrte nur die Betten an. Die Matratzen sahen aus wie vor hundert Jahren angeschafft und inzwischen mehrfach voll gepisst. Er musste sich zusammenreißen, um sich nicht seinem Elend zu überlassen.
    »Hast du Hunger?«, fragte er Dettmers.
    »Immer«, lautete die knappe Antwort.
    So setzten sie sich erst mal an den Klapptisch, benutzten Lenz’ Plastiktüte als Tischdecke und brachen

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