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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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wie nun reagieren? Musste in einem solchen Fall nicht die Staatsmacht ran?
    Leutnant Oppel blickte sich nach dem VO um, und der Stasi-Offizier, der den Vorgang im Hof bisher nur mit verdutzter Neugier verfolgt hatte, trat vor. Was jetzt hier geschah, das wusste er, der Genosse VO, würde letztendlich er zu verantworten haben; es galt zu beweisen, dass er mehr zuwege brachte als seine schlicht gestrickten Genossen vom Strafvollzug. Doch welche Möglichkeiten hatte er? Was blieb ihm, außer diesen von der Feindpropaganda verführten Achtgroschenjungs wegen ihres verbrecherischen Vergleichs mit dem Barbarentum der Nazis weitere Freiheitsstrafen anzudrohen? »Beleidigen lassen wir uns von solchem Kroppzeug, wie Sie es sind, nicht!«, schleuderte er ihnen zornroten Gesichts entgegen. »Es waren unsere Genossen, die in Buchenwald gelitten haben, nicht solche Brut wie Sie. Wir werden weitere Verfahren gegen Sie anstrengen, wenn Sie nicht endlich Vernunft annehmen.«
    Wollte er sie damit etwa einschüchtern? Wie lächerlich! Und interessant, wie hilflos ihre Bewacher und Kontrolleure waren, wenn ihnen eine Gruppe friedlich protestierender Häftlinge gegenüberstand, aus der niemand herauszubrechen war! Voller Genugtuung blickten die noch im Hof verbliebenen Häftlinge den Mann in der Uniform des Ministeriums für Staatssicherheit an, der schon wusste, dass er eine Niederlage erlitten hatte, dann ging es weiter im Kreis, drei Gefangene vorn, drei Hunde dahinter, danach der Rest. Nicht lange und sie brachen erneut in Buchenwald-Rufe aus und wieder stimmten die Häftlinge hinter den Fenstern mit ein.
    Ein weiteres Mal wurde die erste Reihe ausgewechselt und nun mussten Weiss, Dettmers und Lenz vor die Hunde treten. Keiner von ihnen wurde schneller, egal, wie laut die Hunde kläfften, wie nah die Schnauzen ihren Hintern kamen. Sie trippelten – und sie verstummten nicht: »Bu – chen – wald! Bu – chen – wald! Bu – chen – wald!«
    Als dann auch sie ins Zellenhaus geführt wurden, flüsterte Fabian Weiss: »Wenn sie mich schlagen, schlag ich zurück.«
    Lenz wusste, er selbst würde nicht zurückschlagen. So weit wollte er den Berijas, Urians und Petrograds nicht entgegenkommen. Sollten sie ihn schlagen, würde er sich zusammenschlagen lassen, bis sie von ihm abließen. Er würde nicht daran zugrunde gehen. Und sollten noch nicht alle Arrestzellen belegt sein und sie ihn in eine davon sperren, würde er auch das überleben. Andere hatten es ausgehalten, weshalb nicht auch er?
    Doch sie wurden nicht geschlagen und kamen nicht in den Arrest; sie wurden nur einer nach dem anderen vor die jeweilige Zelle geführt und ohne irgendein weiteres Wort hineingelassen.
    Karrandasch und Moll, am Fenstergitter hängend, um den Fortgang der Protestaktion zu verfolgen, begrüßten Lenz lachend. »Der Drops ist gelutscht!«, rief Moll. »Keiner hat Schiss vor ihren Kötern.«
    Das entsprach nicht der Wahrheit. Alle hatten sie Angst gehabt vor diesen zähnefletschenden Hundeschnauzen; sie hatten diese Angst nur überspielt.
    Lenz stellte sich ans Fenster und sah ebenfalls in den Hof hinaus, wo die restlichen Gefangenen noch immer ihre Runden drehten. Die Furcht vor den Kötern war nun geringer geworden, wussten jetzt doch alle, dass die Hundeleinen auch künftig kurz gehalten würden. Und es war auch kein Erfolg für die Oppel, Berija und Co., dass die letzten sechs, unter ihnen Hausmann und Wiegand, nur noch schweigend im Kreis marschierten; die in den Fenstern, darunter alle aus dem Hof Entlassenen, stellten ihre Rufe nicht ein, bevor nicht auch der letzte Gefangene im Zellenhaus verschwunden war.
    Franz Moll feierte diesen Sieg noch im Bett und niemand widersprach ihm. Sollte er doch stolz auf sich sein; was machte es aus, dass die Niederlage der Strafvollzugsbeamten noch lange keinen Sieg der Häftlinge bedeutete. Oder war inzwischen etwa ein Arzt bei Stracks? Und saß jetzt nicht auch Eri Braun im Arrest?
    Sie hatten den Herren dieses Knastes nur gezeigt, dass ihre Macht nicht grenzenlos war. Mehr nicht. Aber immerhin!

5. Fünf Minuten
    D ie letzten Augusttage – und nichts war passiert! Kein Transport war abgegangen, keine neuen, hoffnungsvollen Parolen wurden verbreitet, nur immer wieder die alten Vogelflug-Geschichten wiedergekäut. Lenz litt unter der Ungewissheit. Also war all sein Hoffen auf eine vorzeitige Ausreise doch nur ein großer Selbstbetrug gewesen? Er glaubte, es nicht länger aushalten zu können, dieses

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