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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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für so etwas »kein Talent«. Viel lieber spielte er Skat und erwartete auch noch, dass die Mutter ihn und seine Skatbrüder bediente. Kam es aus irgendwelchen Gründen mal nicht zur Skatrunde, zog er durch andere Kneipen und gab dort den kompetenten Fachkollegen. Das ärgerte die Mutter jedes Mal sehr, und dann schickte sie Manni los, Onkel Willi zu suchen und von der Konkurrenztheke loszueisen. Ein Auftrag, den Manni hasste, weil Onkel Willi ja doch nicht auf ihn hörte und, wenn er schon etwas benebelt war, ganz besonders kleine, böse, stockfischartige Augen hatte.
    Oft rätselte die Mutter darüber, weshalb Onkel Willi so ein verhärtetes Herz hatte. Hatte er eine schlimme Jugend hinter sich? Hatte das Leben ihn hart geklopft? Oder war er von Natur aus ein so liebloser Knochen? Wenn Manni Geburtstag hatte und die Mutter ihn bat, sich auch bei Onkel Willi zu bedanken, obwohl er doch wusste, dass die Geschenke nur von der Mutter kamen, näherte er sich Onkel Willi immer nur sehr vorsichtig, sagte danke und küsste ihn, weil sich das nun mal so gehörte, auf die Wange. Dann bekam Onkel Willi feuchte Augen, und einen halben Tag lang dachte Manni, dass er vielleicht doch noch nicht so ganz taub auf dem Herzen war. Bis wieder irgendwas passierte, das alle Hoffnungen zunichte machte.
    Besonders schlimm war, dass Onkel Willi sich erst einen Rohrstock und danach auch noch einen Siebenstriemen besorgt hatte. Nur, um damit zu drohen, wie er die Mutter getröstet hatte. Mit dem Rohrstock aber schlug er schon mal zu, wenn Manni irgendwas »Ungehöriges« angestellt hatte; nur der Siebenstriemen blieb Drohwerkzeug. Wohl weil Onkel Willi wusste, dass die Mutter es ihm nie verziehen hätte, hätte er ihn doch einmal zum Einsatz gebracht.
    Als nicht viel weniger bedrückend empfand Manni Onkel Willis Körperlichkeit. Wenn er sich an manchen Dienstagabenden in der Küche in die Schüssel stellte und von Kopf bis Fuß abseifte und danach noch lange nackt durch die Stube schritt, schien er stolz auf seinen nackten Körper und sein altes, bräunliches Gebammel zu sein. Die Mutter sah diesen »Parademarsch« auch nicht gern, konnte ihn Onkel Willi aber nicht verbieten, schließlich war ja nichts Unnatürliches dabei.
    Manni spürte, dass hinter diesem Stolz noch etwas anderes steckte; etwas, das ihn verstörte, verletzte, anekelte. Es hatte mit dem zu tun, was er öfter nachts zu hören bekam.
    Seit Robert nicht mehr bei ihnen wohnte, schlief er auf der Couch im Hinterzimmer. In der Wohnung im ersten Stock hatte die Mutter ihn nicht lassen wollen, weil dort oben ja niemand auf ihn Acht geben konnte und er ihr mit der Zeit zu »selbstständig« geworden war; was nichts anderes bedeutete, als dass er da oben machte, was er wollte. Im Hinterzimmer, in dem ja auch die Mutter und Onkel Willi schliefen, gab es aber ein neues Problem: Hier konnte er oft erst nach Mitternacht einschlafen. Der Lärm aus der Kneipe drang bis zu ihm hin und ließ ihn immer munterer werden. Deshalb las er, bis der letzte Gast gegangen war. Lesen liebte er inzwischen ja noch mehr als Kinobesuche. Seine Bücher entführten ihn in andere Welten und ließen ihn allen Kneipenlärm überhören. Nur wenn es lauten Streit oder eine Schlägerei gab, legte er sein Buch beiseite, stieg auf einen Stuhl und spähte durchs Kuckloch. Im oberen Teil der Tür waren zwei Glasscheiben eingelassen, die waren genauso rotbraun gestrichen wie die gesamte Tür, in der rechten Scheibe jedoch war ein winziges Stück Farbe weggekratzt, damit die Mutter, wenn sie mal im Hinterzimmer zu tun hatte, Gaststube und Kasse im Auge behalten konnte. Von der Gaststube aus war dieses Kuckloch nicht zu entdecken, legte man jedoch im Hinterzimmer das Auge dicht an die Scheibe, konnte man die ganze Kneipe überblicken. Wie sich die Betrunkenen da manchmal durch den ganzen Raum prügelten, wie Tische und Stühle zu Bruch gingen und hin und wieder sogar Blut spritzte. Manni auf seinem Stuhl überkam dann jedes Mal Angst vor diesen Männern, die nicht mehr wussten, was sie taten. Die Mutter erklärte sich solche Brutalität damit, dass alle diese Männer vom Krieg verdorben worden seien, aber konnte das stimmen? Es gab doch auch Männer, die aus dem Krieg heimgekommen und ganz anders waren, Heinz der Stotterer zum Beispiel oder Emilchen der Schweiger.
    Meistens war die Schlägerei erst dann beendet, wenn die Mutter zwischen die Kampfhähne trat und sie so lange anschrie, bis sie sich endlich beruhigt

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