Kronjuwel (German Edition)
dem Anblick einer massiver Steinplatte, die den Raum in seiner Tasche gänzlich ausfüllte, einen Kollegen um Hilfe bitten würde. Danach würde man ihn herauswinken, unter den fragenden Blicken der Professorin, und ihm einige Fragen zu dem stellen, was er dort mit sich führte. Fragen, auf die er keine Antwort hatte.
Er sah sich um. Zu seiner Rechten stand eine Gruppe von etwa zehn jungen Frauen an, vermutlich Studentinnen, die ihren Rückflug nach Hause kaum abwarten konnten und denen die Vorfreude ins Gesicht geschrieben stand. Die meisten der anderen Wartenden sahen aus wie Geschäftsleute, wie ihre schlecht sitzenden Anzüge und langweilig gemusterten Krawatten, für die das Wetter viel zu warm war, zweifelsohne verrieten. Nur selten sah einer von ihnen von seinem Telefon auf, dessen Bedienung sie völlig einzunehmen schien.
»Michael!«, ertönte ein lauter Ausruf von irgendwo hinter ihm und Noah suchte mit seinem Blick, wer damit gemeint sein könnte. Schnell erkannte er den jungen, groß gewachsenen Mann, der in einer weiten Sporthose und einem Kapuzenpullover kaum drei Meter von ihm entfernt an einer anderen Station anstand. Er drehte sich um und winkte breit lächelnd den Leuten zu, die ihn gerufen hatten. An dem Logo einer Universität auf seiner Baseballkappe und an der Art, wie seine Muskeln durch den dicken Stoff des Pullovers trotzdem gut auszumachen waren, schloss Noah, dass er vermutlich irgendein Football oder Basketball Spieler war, der nach seinen Ferien auf dem Weg zurück zu seiner Schule war. Ohne genau zu wissen warum, folgte Noah dem Blick des Sportlers. Einige Meter hinter den Schlangen standen eine Frau und ein Mann mittleren Alters, denen man sofort ansah, dass sie nur die Eltern des Jungen sein konnten und rahmten ein deutlich jüngeres Mädchen ein, die ebenso wie ihre Eltern ihren Bruder winkend verabschiedete.
Ausdruckslos und unberührt von der Szene wollte Noah sich wieder umdrehen und sich seinem eigenen Schicksal zuwenden, als er plötzlich inne hielt, noch einmal genauer in Richtung der Familie des Sportlers sah und eine Idee ihn mit einem Mal regelrecht innerlich aufspringen ließ. Sie standen direkt vor einer Wand, die die Eingangshalle des Terminals von den Zugängen zu den Gates trennte, an der entlang eng aneinandergereiht ein Spind am nächsten angebracht war.
Er musste nicht lange überlegen, um zu wissen, dass genau das seine allerletzte Chance war. Ohne zu zögern, tippte er Caine auf die Schulter.
»Ma’am, ich bin sofort wieder da«, sagte er kurz angebunden und machte sich schon daran zu verschwinden.
»Aber Noah, unser Flug!«, rief sie ihm verwundert hinterher, als er seine Tasche vom Boden aufnahm und aus der Schlange ausbrach, um eilig in die entgegengesetzte Richtung zu gehen.
Er wusste, dass sie ihn bei den vielen Leuten schnell aus den Augen verlieren würde, doch selbst wenn nicht, war es ihm recht, einige Fragen diesbezüglich beantworten zu müssen, solange er sich nicht für das gestohlene Artefakt rechtfertigen musste. Er schritt geradewegs auf die Familie zu und dachte dabei, dass er ihnen eigentlich für seine mögliche Rettung danken müsste, bog dann im letzten Moment vor ihnen ab und suchte die Spinde nach einem freien Schließfach ab. Nicht viele der Fächer waren unbelegt und er musste einen Moment suchen, doch fand endlich am Spind mit der Nummer 70 einen freien Platz. Schnell warf er einen Blick auf die Preise, die auf die Innenseite der Tür aufgedruckt waren, und entschied sich, kein Risiko einzugehen. Mit zittrigen Händen holte er seine Kreditkarte aus seinem Portemonnaie hervor und schob sie in den dafür vorgesehenen Spalt an der Tür. Auf dem kleinen Display daneben wählte er die Option für drei Monate Aufbewahrung und wartete, bis die Anzeige ihn dazu aufforderte, seine Karte wieder zu entnehmen. Darauf bedacht, dass niemand ihn dabei sehen konnte holte er langsam die Steinplatte aus seiner Umhängetasche und schob sie vorsichtig in das geräumige Schließfach, in das noch einiges mehr gepasst hätte.
Es kam ihm vor, als fiele das Gewicht von der Masse eines Flugzeuges von seinen Schultern, als er die Tür schloss und den Schlüssel abzog. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als er sich seine nun um wenigstens fünf Kilo leichtere Tasche über die Schulter warf und zurück in Richtung der Sicherheitskontrolle ging.
»Fünfzig gut investierte Dollar«, dachte er sich, als er geradewegs auf einen Schalter zuging, an dem
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