Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kronjuwel (German Edition)

Kronjuwel (German Edition)

Titel: Kronjuwel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Mann
Vom Netzwerk:
ihn herunter. Er wusste, dass nahezu alle Studenten der Fakultät glaubten, ihnen stünden steile Karrieren und aufregende Berufe bevor und dass sie ebenso glaubten, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter wäre auf dem Karrierepfad vom Weg abgekommen und aussichtslos gestrandet.
    Und zugegebenermaßen fühlte Noah sich wiederholt so, als sei er noch nicht weit genug gekommen, als habe er sein Potential bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Oft genug beklagte er sich über seine langen Arbeitszeiten, sein zu schlechtes Gehalt, seine tyrannische Vorgesetzte und die unterfordernde Arbeit, die er zu verrichten hatte. Als er seine Stelle an der Fakultät angetreten hatte, war er in seiner Vorstellung bereits auf halbem Weg zu einer Professur. Doch wenig später musste er feststellen, dass dieser Weg steiniger und länger war, als man glaubte. Er hatte einen festen Plan gehabt, war sich sicher gewesen, dass er alles erreichen konnte und schon bald mit wenig Arbeit viel Geld verdienen würde. Er sah sich auf Expeditionen, die ihn in jede Ecke der Welt führen würden, stellte sich sein Portrait auf den Titelseiten von Fachzeitschriften vor, kurz nach großen, weltbewegenden Funden. Doch diese Träume waren schon lange verblasst. Er folgte Tag ein, Tag aus immer der gleichen Routine, erledigte die Arbeit, die ihm aufgetragen wurde und zeigte keine Anzeichen mehr dafür, dass er sich weiterentwickeln wollte. Es war als hätte er sich festgefahren und käme ohne fremde Hilfe nicht wieder aus seiner Situation heraus.
    Manchmal, wenn der Tag sich dem Ende neigte, gingen ihm eben diese Gedanken durch den Kopf. Wenn ihn diese melancholische Stimmung überkam raubte sie ihm den Schlaf und er lag oft genug nachts stundenlang wach in seinem Bett und dachte darüber nach, was er in seinem Leben falsch gemacht hatte. Nie kam es ihm in den Sinn über einen Ausweg nachzudenken, sich Gedanken über Weiterbildungen oder einen neuen Job in einer neuen Stadt zu machen. Er bemitleidete sich selbst und versuchte dabei, sich noch einzureden, dass an seinem Beruf nicht alles schlecht war. An wenigen Tagen klappte das aus irgendeinem ihm nicht verständlichen Grund, doch an anderen stand er morgens aus dem Bett auf und wäre doch am liebsten liegen geblieben.
    Genau das war es, was ihm auch jetzt wieder durch den Kopf ging und ihn von seiner Arbeit ablenkte. Zwar starrte er noch immer auf eine Karte des antiken Griechenlands, die ausgebreitet vor ihm lag, doch er sah sie eigentlich nicht mehr. Die Linien lagen klar vor seinen Augen, die Beschriftungen hätten nicht schärfer umrissen sein können, und doch ergaben sie für ihn keinen Sinn mehr, denn sein Verstand war in andere Sphären entschwunden. Er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, als er seine Aufmerksamkeit zurück erlangte und seinen Blick endlich von dem einen Punkt irgendwo auf der Karte abwenden konnte, den er zuvor gedankenlos fixiert hatte. Er blinzelte ein paar mal kräftig, um wieder zu sich zu kommen und wandte seinen Kopf ab. Rings um ihn herum war es vollkommen still. Selbst das leise Summen der Computer an den Arbeitsplätzen auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes war verstummt, als diese sich um Punkt null Uhr automatisch heruntergefahren hatten. An einem Tisch hatten Studenten ihre Bücher nach dem Gebrauch liegen lassen. Noah legte den Kopf auf die Seite um die etwa fünf Meter von ihm entfernten Titel auf den Buchrücken lesen zu können. In goldenen Lettern auf dem braunen Grundton des Stoffeinbandes erkannte er »Geschichte der Zivilisation Polynesiens«. Darauf gestapelt lag mit rotem Einband »Antike Kunstformen im Spiegel der Moderne«, ein Buch, das er selbst schon für seine Doktorarbeit häufig zu Rate gezogen hatte. Er schnaubte bei der Erinnerung daran. Ein ganzes Jahr hatte er praktisch in der Bibliothek gelebt, um seine Arbeit über die Einflüsse antiker Kunst und Moral in künstlerische Werke der Neuzeit zu erstellen. Das war direkt nach seinem Studium gewesen, als er noch darauf gehofft hatte, ein Abschluss mit Doktortitel würde ihm alle Türen öffnen. Die Wahl seines Themas war im Nachhinein für einen Historiker und Archäologen zwar eigenwillig, doch für Noah lag es auf der Hand, dass er so seine beiden Leidenschaften, die Geschichte und die Kunst, miteinander verknüpfen konnte.
    Er zwang sich, an etwas anderes zu denken, als er sich daran erinnerte, wie glücklich er zu dieser Zeit gewesen war. Er war optimistisch für die Zukunft gewesen und

Weitere Kostenlose Bücher