Kronjuwel (German Edition)
lag die Lobby mit einem Informationsschalter und dem Kartenverkauf. In einer eleganten, geschwungenen Linienführung schob sich die hohe Decke des Gebäudes wie eine Welle über die Fläche der Halle und warf den Schall jedes einzelnen Schrittes und Wortes verstärkt zurück.
«Ein Erwachsener«, sagte Noah, als er an den Schalter herangetreten war.
«Das Fotografieren ist in unserem Museum leider nicht gestattet, Sir«, sagte der junge Mann und riss von einem Stapel eine Eintrittskarte ab, nachdem Noah einen fünf Dollar Schein auf seinen Tisch gelegt hatte.
«Ich wünsche viel Vergnügen.«
Noah folgte dem vorgegebenen Weg durch das Museum, der ihn zuerst auf einer Rampe weiter nach oben führte. Wie zu erwarten gewesen war, war das Museum nicht besonders gut besucht an diesem gewöhnlichen Wochentag. Eine kleine Gruppe von Grundschülern bildete schon den größten Anteil der Besucher, der Rest setzte sich zusammen aus einigen älteren Leuten und einer Hand voll Touristen. Noah hätte es bevorzugt, wenn mehr Leute in dem Museum gewesen wären und es so leichter gewesen wäre, in der Menge unterzugehen, doch mit seiner Verkleidung hatte er sich ausreichend vorbereitet.
Entspannt schlenderte er durch die verschiedenen Räume des Museum und ließ die Ausstellungsstücke auf sich wirken. Den Großteil des Museums machten Informationstafeln und große, oft ganze Wandabschnitte bedeckende schwarz-weiß Bilder aus, die über den Holocaust aufklärten und auf eine unglaublich beklemmende Weise die Dunkelheit dieser Zeit wiedergaben. Noah sah Papiere, die in Schreibmaschinenschrift die Einlieferung von Juden in ein Ghetto oder Arbeitslager quittierten, Fotos, auf denen Geschäfte von jüdischen Eigentümern mit dem Davidsstern und Schmierereien zu sehen waren und Originale von Briefen, die in krakeliger Handschrift vom unendlichen Grauen berichteten, das die Menschen in den diversen Lagern der Nationalsozialisten erfahren hatten.
Für einen kurzen Augenblick fühlte Noah sich an die Zeit zurückerinnert, in der er noch Wissenschaftler gewesen war. Es kam ihm vor, als wären Jahre vergangen, auch wenn es eigentlich nur wenige Wochen waren, seit er seinen Job an der University of Oregon niedergelegt hatte. Jetzt, wo er in diesem Museum stand und erneut Dokumente der Geschichte sah, die er so viele Jahre lang studiert hatte, flackerte noch einmal der Funke der Leidenschaft auf, der ihn dazu getrieben hatte, erst Geschichte, dann Archäologie und dann durch seine Doktorarbeit auch noch die antike Kunst zu studieren. Es war in diesem Moment, dass er sich die Frage stellte, warum er all dies tat, ob er sich nicht eigentlich schämen müsste, etwas stehlen zu wollen, das andere Menschen glücklich machen konnte, sie bilden und inspirieren und in ihrem Leben voran bringen konnte. Doch sofort fiel er wieder zurück in die Realität, oder vielmehr das, was er in der letzten Zeit daraus gemacht hatte und konzentrierte sich wieder ganz auf den Grund, aus dem er eigentlich hier war.
Er ließ die gewöhnliche Sammlung hinter sich und folgte einem Flur in den Bereich für zeitlich begrenzte Ausstellungen. Er atmete unwillkürlich auf, als er die düstere Atmosphäre der Holocaust Sammlung hinter sich ließ und die hell und offen gestalteten Räume betrat, in denen die Kunst jüdischer Künstler aus allen Epochen zusammengetragen war. Es dauerte nicht lange, bis er vor dem Gemälde stand, um das es ging. Es war eines der Bilder, die man ansah und bei denen man sofort denken musste, dass man genau das gleiche hätte zeichnen können, auch wenn es in Wahrheit die größte handwerkliche Fertigkeit erforderte, so etwas herzustellen. Ein abstraktes Werk, in dem sich Linien, Kreise und Vierecke auf scheinbar willkürliche Weise trafen und miteinander in Verbindung standen, nicht bloß gemalt, sondern geradezu konstruiert von El Lissitzky. Auch wenn er nicht viel von dieser modernen Kunst verstand, so erkannte er doch den künstlerischen Wert dieses Gemäldes. Doch er unterdrückte das Schaudern, dass ihn überkam, als er daran dachte, wie dieses Bild bald in irgendeinem Wohnzimmer eines viel zu reichen Mannes hängen würde, auf ewig vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Viel lieber dachte er an das Auto, die Uhr und die Dates mit bildschönen Frauen, die er nach diesem Job in vollen Zügen geniessen würde.
Er sah sich um. Das Gemälde hing zentral an einer Wand in einem nahezu quadratischen Raum, zu dem zwei Gänge führten. In
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