Krumme Gurken
Spätnachmittag. Die Mädchen waren entweder auf ihren Zimmern oder draußen im Freien. Die breiten Kellerräume gähnten vor Leere. Nicht so mein Kopf. Darin lieferten sich Hirnrambos wahre Liebesschlachten: Mann! Anna hat mich zum Spielen abgeholt und führte mich in dunkle Kellerräume. In ihre Folterkammer? Egal! Mädchen – mir kannst du den spanischen Stiefel anziehen. Ich leide gern für die Liebe. Ich mach alles für dich! Soll ich vom Turm der Klosterkirche runterspringen? Sag’s nur, bunny, schon laufe ich die Treppe hinauf, und dann spiel ich für dich den Bungeespringer ohne Seil. Das Chaos in meinem Hirn war perfekt. Wie sollte ich die Kleine unterhalten, verdammt? Na, mit einer Story, die für ein Computerspiel herhalten konnte. Damit kannte ich mich aus. Mann! Ich würde bei Anna etwas Gänsehaut verursachen. Vielleicht würde sie sich dann bei mir ankuscheln. »Ich hab in einem alten Buch was über die Gegend hier gelesen«, sagte ich. »Das hier war früher kein Kloster. Ein Schloss war’s! Graf Otto von Socke, der Blutrünstige, wohnte hier, der Nachkomme einer degenerierten Adelsfamilie.«
»Degene … was?« Aha! So viel Sprache kannte sie auch nicht.
»Na, degeneriert«, sagte ich. »Du weißt doch: Wenn der Bruder mit der Schwester poppt, dann kommen manchmal
Kinder raus, die ziemlich daneben sind. Das war früher bei den Adligen normal.«
»Das sagt man nicht!«, sagte Anna.
»Was?«
»Das P-Wort!«
»Poppen meinst du?«
»Ja!«
»Was sagt man dafür?«
»Liebe machen!«
»Ach so. Tschuldigung!« Zum Glück wusste Anna nicht, wie ich bei uns in Dresden auf der dunklen Treppe immer die Geister vertrieben hatte. »Also … den Graf von Socke hat seine Mutter mit seinem Vater gezeugt, nachdem sie zwanzig Jahre zusammengelebt hatten, also eine klare Blutschande unter den nächsten Familienangehörigen.«
Anna dachte so streng nach, dass ihre hübsche Stirn Falten bekam. »Machst du dich lustig über mich?«, fragte sie schließlich.
»Nö!«, sagte ich. »Graf Otto von Socke hat das Tagebuch von Edward Kelley auf einem Flohmarkt gekauft – Kelley war der Alchemist beim Rudolf II. in Prag. Aus dieser uralten Handschrift erfuhr Graf Otto eine Rezeptur für das Lebenselixier. Hauptbestandteil davon sollte Jungfrauenblut sein. Irgendwo unten steht noch das Folterinstrument, was er für diesen Saft brauchte, die ›Eiserne Jungfrau‹. Der blutrünstige Graf hat hier in den Alpen Jungfrauen gejagt und ihnen mit seiner ›Eisernen Jungfrau‹ das Blut ausgequetscht. Das trank er, um jung zu bleiben. Hast du Angst?«
»Warum sollte ich Angst haben?« sagte Anna. »Ich bin doch keine Jungfrau mehr.«
»He?«
»Bist du noch eine Jungfrau?«, fragte sie mich.
Und ich noch mal: »He?« Zum Glück reagierte ich etwa fünf Minuten später blitzschnell. Ein Sachse halt. »Ich?«, sagte ich. »Nee … klar nicht!« Meine Gurke hob sich und wollte mich wegen der groben Lüge durchprügeln. Vielleicht aber auch als Strafe dafür, dass mein ungesundes Selbstbewusstsein sich von Annas spitzer Frage wie ein Luftballon hatte durchstechen lassen. TSSSSSSS! Die Luft ging rasendschnell raus.
»Papa hat mir schon erzählt«, sagte meine Angebetete, »dass im Osten sehr lose Sitten herrschen.«
»Ja, das stimmt«, sagte ich schnell. »Ich bin schon im Kindergarten entjungfert worden.« Da mein Ständer manchmal Humor hatte, klopfte er anerkennend an meine Hosentür und legte sich wieder hin. »Das ist in Dresden normal. Und bei der Jugendweihe fallen wir alle übereinander her.« Mann, oh Mann! Was erzähle ich da für ’nen ungesund selbstbewussten Scheiß zusammen. Ich war doch selbst eine Eiserne Jungfrau. Doch Anna schien sich über die losen Sitten in Dresdner Kindergärten nicht zu wundern.
»Von der Eisernen Jungfrau sollte Katja Angst haben«, sagte sie. »Hi, hi, hi!«
»Katja?«
»Na, sie redet immer von freier Liebe und so, hat aber noch nie mit einem Jungen …«
»Gepo … eeh … Liebe gemacht?«, half ich ihr galant.
»Mia auch nicht«, sagte Anna. »Mit Mia würde sich ohnehin kein Junge einlassen.«
»Verstehe«, sagte ich.
Wir kamen in einen großen Raum. Mittendrin ein Pingpongtisch. Sogar mit einem Netz. Im Schrank schlummerten
Schläger und Bälle. Schlag den Ball, sagte ich mir, und fürchte dich nicht! »Spielst du viel?«
»Ich bin bayerische Juniorenmeisterin.«
Was? Juniorenmeisterin? Oooh! Jetzt würde sie mich im Tischtennis schlagen und ich würde
Weitere Kostenlose Bücher