Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Überlebende des Krieges und der Seuche gestoßen waren. Für diese Annahme sprachen seine Beobachtungen, die er im Hause von Gwantharab gemacht hatte. Dort waren sie ebenfalls durchgezogen und hatten den Berichten der Zwillingsbrüder zufolge den Rest der Familie verwandelt und mit sich genommen. Die Vorstellung, im Kampf auf ehemalige Freunde und Bekannte zu treffen, die er ohne Rücksicht auf Sympathie oder immer noch vorhandener Gefühle töten musste, behagte dem Lordmaster keineswegs. Wieder einmal würde er einen harten Kampf nicht nur gegen die Bedrohung durch einen Feind sondern gegen sich selbst und sein Innerstes austragen müssen, der ihn einiges an Kraft und Überwindung kosten würde.
Für einen kurzen Augenblick durchbrach plötzlich das Licht der Sonnen die Dunkelheit der Dämmerung und blendete den Bewahrer, als ob ein greller Blitz die Nacht erhellt hätte.
Was war das?, dachte der Bewahrer. Schwindet die Dämmerung? Er konnte aufgeregte Schreie unter den Bluttrinkern hören, die mindestens genauso überrascht über den plötzlichen Lichteinfall waren wie er selbst. Allerdings schien ihnen das Licht mehr auszumachen und zusätzlich Schmerzen zu bereiten. Für einen Moment ruhten die Bemühungen der Bluttrinker. Sie gaben heulende Laute von sich, rieben sich die Augen und ihre entsetzten Blicke wanderten gen Himmel. Während der Lordmaster den Lichtblitz längst wieder überwunden und sich orientiert hatte, brauchten die Bluttrinker länger, um sich von der kurzen Helligkeit des Tages zu erholen. Der Bewahrer nutzte die Gelegenheit, sich einen weiteren Überblick zu verschaffen. Es war ihm daran gelegen, nach Möglichkeit unangenehme Überraschungen zu vermeiden.
In einiger Entfernung beobachtete er plötzlich riesenhafte Schatten, die sich rasch auf die Mauern des Hauses des hohen Vaters zubewegten. Madhrab rieb sich nun ebenfalls die Augen. Er konnte ihre über die Ebene donnernden Schritte deutlich hören, als würden schwere Hämmer auf Stein geschlagen, die den Erdboden erbeben ließen. Die Gestalten waren für ihn nur verschwommen wahrnehmbar, und er konnte sich nicht erklären, was es damit auf sich hatte. Insgesamt zählte er sechs sich voneinander unabhängig bewegende Schatten. Ihre Bewegungen wirkten steif und ungelenk. Nie zuvor hatte er solche Wesen erblickt.
Bei allen Kojos … sind das Riesen?, ging es ihm durch den Kopf. Nach allem, was er wusste und gelernt hatte, gab es keine Riesen auf Ell. Was hatten sie – wer oder was auch immer sie waren – vor? Stellten sie eine zusätzliche Bedrohung für die Bewahrer dar? Kamen sie etwa, den Bluttrinkern in ihrem Kampf gegen die Bewahrer beizustehen? Je weiter sie sich den Häusern des hohen Vaters und der heiligen Mutter näherten, desto mehr konnte Madhrab erkennen und ihre Konturen wurden deutlicher.
Den Bluttrinkern war die Ankunft dieser Wesen ebenfalls nicht entgangen. Offensichtlich waren sie aber genauso überrascht wie Madhrab und verhielten sich abwartend.
Sie scheinen vollkommen aus Stein zu bestehen, stellte Madhrab nach genauerer Betrachtung verblüfft fest. Vor längerer Zeit hatte er während seiner Ausbildung in alten Schriften über das Volk der Felsgeborenen gelesen. Demnach waren die Burnter aus Stein. Doch die enorme Größe dieser Wesen passte keineswegs auf die Beschreibung des seit langer Zeit verschwundenen Volkes der Altvorderen. Wahrscheinlicher war jedoch, dass diese Wesen mit den Felsgeborenen in Verbindung standen. Den Schriften zufolge waren die Burnter magisch hochbegabt und in der Lage, seelen- und willenlose Wesen aus Stein zu schaffen, die sie steuern konnten und gelegentlich als Wächter einsetzten.
Natürlich … , dachte Madhrab erschrocken, … das muss es sein. Golems! Aus Stein geschaffen. Das sind keine natürlichen Geschöpfe. Aber das bedeutet … die Felsgeborenen sind zurück! O Kryson, wie sehr verändert unsere Welt doch ihr Antlitz.
Eine merkwürdige Stille – unterbrochen vom rhythmischen Stampfen der sechs Gestalten – legte sich über die Belagerungsstätte, während die steinernen Ungetüme unaufhaltsam auf die Mauern zuhielten. Als sie diese erreicht hatten, begannen sie sofort mit ihren Fäusten, in denen eine ungeheure Kraft zu stecken schien, auf die Mauern einzuschlagen. Ihre ausdruckslosen Gesichter blickten dabei in stoischer Ruhe über die Mauern. Die Wirkung der Schläge war verheerend. Steine zerbrachen krachend und fielen herab. Splitter flogen durch die Gegend. Im
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