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Kryson 03 - Zeit der Dämmerung

Titel: Kryson 03 - Zeit der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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sicher gewissen, auf lebende Opfer zu stoßen. Doch die von Ratten übersäten und angenagten Leichname zweier verwesender Klan waren nicht das, was sie sich von ihrem Beutezug erhofft hatten. Wenigstens lebten einige der verletzten Ratten noch. Die Gruppe der Seuchenopfer machte sich über die Körper der noch zuckenden und zappelnden Tiere her und verzehrte diese gierig mit Haut und Haaren. Lediglich Schwanz und Kopf waren für sie ungenießbar. Diese wurden mit den Zähnen abgebissen und wieder ausgespuckt. Die leblosen Körper ließen sie allerdings liegen. Offenbar besaßen sie genügend Verstand, sich nicht über vermeintlich verdorbenes Fleisch herzumachen.
    Raussa schloss die Augen, die sich vor Schmerzen mit Tränen füllten. Sie konnte den Anblick der sich am Fleisch von Ratten ernährenden Kranken nicht ertragen. Wie lange würde sie die Tortur aushalten, ohne laut schreien zu müssen oder in Ohnmacht zu fallen? Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis die Seuchenopfer die Tiere vertilgt hatten und sich auf die Suche nach weiterer Beute machten. Sie entfernten sich heulend aus dem Haus und ließen Raussa unbehelligt in der Dunkelheit und ihrem Schmerz zurück.
    Die Regentin wartete und zählte mit zusammengebissenen Zähnen bis zweihundert, bevor sie sich zu regen traute und mehrmals tief ein- und wieder ausatmete. Wütend entfernte sie die übrigen Ratten von ihrem Bein und drehte in ihrem Zorn einem der Nagetiere krachend den Hals um. Ihr wurde plötzlich bewusst, welch großes Glück – das nicht zuletzt den Ratten und dem Toten zu verdanken war – sie gehabt hatte, vorerst der viel größeren Gefahr entgangen zu sein. Ein Lachen der Verzweiflung, das einem Weinen glich, schüttelte ihren Körper. Ihre Nerven waren überstrapaziert und sie brauchte lange, bis sie sich dazu entschloss, das Haus weiter zu erkunden und sich ein besseres Versteck in einem der angrenzenden Räume zu suchen. Sie bewegte sich kriechend fort und stieß während ihrer Erkundung auf weitere tote Hausbewohner, die, ihrem Gestank und Zustand nach, bereits einige Tage zuvor von den Schatten geholt worden waren. Ob sie das Opfer der kranken Jäger geworden waren oder selbst an der Seuche gestorben waren, konnte Raussa in der Dunkelheit nicht mit Gewissheit feststellen.
    Die Türen zu den einzelnen Kammern des Hauses standen offen. Raussa kroch in einen Raum, zog die Tür hinter sich zu und tastete sich über umgestürzte Möbel in die hinterste Ecke. Ihre Augen hatten sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt. Durch einen schmalen Spalt einer ansonsten von innen mit offensichtlich in Eile angebrachten Holzdielen verriegelten Fensterluke fiel ein fahler Lichtstrahl, der ihr die Orientierung ein wenig erleichterte. Sie befand sich in einer Küche. Über der längst erkalteten, in den steinernen Fußboden eingelassenen Feuerstelle in der Mitte des Raumes hing an einer Kette von der Decke ein vom Ruß geschwärzter Topf. Noch einmal raffte sich Raussa auf, nahm die ihr verbliebene Kraft zusammen und zog sich am Rand des Topfes hoch, um hineinblicken zu können. Enttäuscht ließ sie sich zurücksinken. Der Topf war leer. Auf allen vieren krabbelte sie wieder in die Ecke, wo sie sich hinter einem umgestürzten Tisch verkroch. Sicherheit war ein Luxus, den sie in ihrem Versteck nicht erwarten durfte. Aber immerhin würde sie nicht sofort entdeckt werden. Erschöpft fiel Raussa in einen unruhigen Schlaf.
    Die Nacht legte sich über Tut-El-Baya, und der Mond über der Stadt verlieh den Häusern einen silbergrauen Anstrich. An den Hauswänden entlang bewegten sich ruhelose Geister und Schatten. Einer dieser Schatten war Ayadaz. Kaum hatte er sich von der Regentin getrennt, war die Hetzjagd losgegangen. Er war auf eine Gruppe mit der Geißel der Schatten Infizierter im fortgeschrittenen Krankheitszustand gestoßen, die sich sofort an seine Fersen geheftet hatte, als sie ihn durch die Gassen laufen sah. Ihr Heulen ging ihm durch Mark und Bein. Es hatte keinen Zweck, sich vor ihnen zu verstecken. Sie waren zu dicht hinter ihm her. Er musste laufen, so schnell er dies vermochte, und Ayadaz hoffte darauf, dass seine Kräfte reichten. Vielleicht konnte er sie abschütteln. Aber das war nur eine vage Hoffnung.
    Ayadaz hatte nicht vor, die Regentin zu retten. Als er sie alleine in der Gasse zurückgelassen und seinen Umhang an sich genommen hatte, stand sein Entschluss bereits fest. Er musste sie ihrem Schicksal überlassen und sich um sich selbst

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