Kubu und der Tote in der Wueste
ganze Unterhaltung war vollkommen sinnlos gewesen. Sie sollten ihn nach dem Geld fragen und ihn anbrüllen, nicht umgekehrt. Er sollte auf einem Tonband um sein Leben flehen müssen, Teile seines Körpers sollten in anonymen Päckchen abgegeben werden. Doch die Leute, die ihn gefangen genommen hatten, wirkten ruhig und entspannt, als liefe alles nach Plan. Ihm wurde klar, dass er handeln musste, koste es, was es wolle.
Er putzte sich die Zähne wie immer, zog Pyjamashorts an, löschte die Sturmlaterne im Badezimmer. Dann legte er sich ins Bett und tat so, als studiere er erneut die Zeitung. Er wusste nicht, ob sie ihn beobachteten, wollte aber keinesfalls unnötige Risiken eingehen. Nach etwa einer Viertelstunde schaltete er die Leselampe aus und versuchte, sich auszuruhen. Er wusste, dass er erwachen würde, wenn es so weit war, aber er war angespannt und glaubte zunächst, nicht einschlafen zu können.
Als er abrupt aus seinem tiefen Schlaf erwachte, war es stockfinster und völlig still. Er blieb eine Weile mit offenen Augen liegen und lauschte in die Dunkelheit, hörte aber nichts. Vorsichtig stand er auf und formte mit den Kissen einen Wulst unter der Bettdecke, um seine schlafende Gestalt vorzutäuschen. Er tastete im Schrank nach seinem Jogginganzug und zog ihn über die Pyjamashorts. Er schlüpfte in die Laufschuhe; die Socken ließ er weg. Ansonsten nahm er nichts mit. Er glaubte, nur sechs Meilen von seinem Versteck entfernt einen sicheren Ort erreichen zu können. Auf Zehenspitzen schlich er ins Bad und schloss so leise wie möglich die Tür. Sie quietschte ein wenig, er blieb mit angehaltenem Atem stehen und lauschte erneut. Nichts. Er stopfte ein Handtuch unter den Türschlitz, damit kein Licht hindurchfiel. Dann suchte er nach der Streichholzschachtel neben dem Waschbecken und zündete die Sturmlaterne an. Das war der riskanteste Teil, aber er hatte keine Wahl. Im Dunkeln war sein Plan undurchführbar.
Er holte sein Necessaire herunter und wühlte nach einer inzwischen verbogenen Fünfthebemünze. Die Nagelfeile hatte er schon am ersten Tag abgebrochen, aber die Münze hatte sich als stabil erwiesen. Es hatte ihn amüsiert, dass sich das klassische Fluchtwerkzeug als so nutzlos herausgestellt hatte. Er passte die Münze in den Kopf einer der Schrauben ein, die die Spanplatte hielten, und löste sie mühelos. Sie saß locker, denn er hatte alle Schrauben bereits einmal herausgedreht.
Schließlich hatte er alle neun gelöst. Als er die Platte abnahm, kam das Fenster zum Vorschein. Der untere Teil bestand aus solidemMilchglas, aber der obere Teil war ein Lüftungsfenster, das nach oben aufgeklappt werden konnte. Durch die Öffnung konnte sich ein erwachsener Mann gerade so hindurchzwängen. Den harten Kitt der Milchglasscheibe im unteren Teil hatte er mit seinen provisorischen Werkzeugen nicht entfernen können, und die Scheibe zu zerschlagen, kam nicht in Frage. Er stieg auf die Toilette und zog sich vorsichtighinauf zum oberen Teil des Fensters. Wenn die Schultern durch eine Öffnung passten, passte auch der übrige Körper hindurch, hatte er einmal gehört. Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, seine Schultern hindurchzuzwängen. Er sah das Gelände unterhalb der Mauer vor sich liegen, dunkel und still. Es war ein großer Sprung vom Fenster bis zum Boden, aber mit etwas Glück würde er schon Sekunden nach der Landung auf das unbeleuchtete und unbewachte Tor zurennen. Es schien ganz einfach. Doch dann hörte er die Badezimmertür aufgehen.
»Scheiße!«, brüllte Sculo hinter ihm. »Was soll der Scheiß?«
Er zog sich verzweifelt hoch und versuchte, sich aus dem Fenster zu stürzen, obwohl er genau wusste, dass er ohne Vorsprung nicht weit kommen würde.
Eine riesige Pranke umschloss seinen Fußknöchel und zerrte ihn zurück, seine Schultern schrammten am Fenster entlang. »Wo willst du hin, hä?« Er klammerte sich an den Fensterrahmen, um nicht zu Boden stürzen, und trat reflexartig mit dem rechten Bein zu. Es war reines Glück, dass sein Fuß mit einem dumpfen Schlag Sculo mitten ins Gesicht traf. Für einen Moment war er frei und begann erneut, sich aus dem Fenster zu hieven. Dann wurde er an beiden Beinen gepackt und zurückgerissen. Diesmal konnte er sich nicht am Rahmen festhalten und fiel auf Sculo. Er rammte seinem Angreifer mit voller Wucht das Knie in den Schritt. Doch obwohl Sculo schrie und sich zusammenkrümmte, war der Kampf entschieden. Sculo hatte ein geschwollenes Auge, und
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