Kuckucksmädchen
alles möglich ist. In denen ich aufspringen könnte und zahlen und meine Sachen packen und zurück zu Ilya fahren. In denen ich im Zug sitzen und mir die Augen ausheulen würde und dann plötzlich merke, dass mir gerade der Mann meines Lebens ein Taschentuch gereicht hat. In denen ich im Zug ganze Kontinente bereisen und Hunderte Männer meines Lebens kennenlernen würde. VierunddreiÃig Minuten, in denen ich den letzten Mann auf meiner Liste treffen könnte. VierunddreiÃig Minuten, die eigentlich neunzehn Minuten sind.
Und jetzt nur noch elf.
Was, wenn Jonathan zu früh kommt? Mir wird heiÃ.
VorschriftsmäÃig angle ich den Teebeutel aus dem Becher. Ich trinke das widerliche Zeug in einem Zug aus. Dann lege ich die zwei Euro dreiÃig für den Jasmintee abgezählt auf den Tisch, falls ich zufällig gleich doch noch eine Entscheidung treffe und es dann schnell gehen muss.
Vor dem Caféfenster bellt sich auf der anderen StraÃenseite ein Hund die Seele aus dem Leib. Jemand hat ihn an den kleinen Zaun gebunden. Ein paar Frauen bleiben stehen und versuchen, seinen Kopf zu streicheln. Er ignoriert sie gekonnt. Ich kenne mich wirklich schlecht aus mit Hunderassen. Eigentlich kenne ich nur Schäferhunde und Dackel.
Ich lege noch fünfzig Cent Trinkgeld für die Rothaarige auf den Münzstapel, der jetzt in einer kleinen Lache aus Jasmintee schwimmt.
AuÃerdem gibt es noch diese englisch klingenden Rassen wie Stafford Terrier. Keine Ahnung, wie ein Stafford Terrier aussieht.
Ich ziehe meine Jacke an, hänge die Handtasche über die Schulter und rücke den Stuhl vom Tisch, bereit, jederzeit gehen zu können. Aber ich gehe nicht. Ich habe noch acht Minuten. Acht Minuten, in denen ich auf Jonathan warten könnte. In denen er hier auftaucht und mir vergibt und mich in die Arme nimmt und sagt, dass alles gut wird jetzt. In denen wir das Café zusammen verlassen und nach Othmarschen fahren. Ich könnte ihm stolz unsere neue Wohnung zeigen, wir würden eine Flasche Sekt aufmachen und, auf dem KüchenfuÃboden sitzend, planen, wo wir unsere Möbel hinstellen. Acht Minuten, in denen wir zusammen alt werden.
Sieben Minuten.
Auf der anderen StraÃenseite bindet ein Mann den Hund los. Der Hund hat nur Augen für ihn, kann gar nicht schnell genug mit dem Schwanz wedeln, so viel Freude ist in seinem kleinen, aufgeregten Körper. Was für einfache Tiere. Man muss sie nur kurz anbinden und weggehen, und wenn man zurückkommt, freuen sie sich die Seele aus dem Leib.
Die Kellnerin wirft mir einen irritierten Blick zu, während ich mit angezogener Jacke und geschulterter Tasche am Cafétisch sitze.
Ich kann nicht sagen, was mir den letzten Anstoà gegeben hat. Vielleicht war es dieser Blick. Oder der Hund, der drauÃen vor dem Fenster an seinem Herrchen hochspringt. Oder das stumme Herz in meiner Brust. Ich weià es nicht. Alles, was ich weiÃ, ist, dass ich aufstehe und zur Tür rausgehe und bis ans Ende der StraÃe laufe. Dass ich bis dreiÃig zähle und mich umdrehe, bevor ich um die Ecke biege. Und dass ich Jonathan sehe, der gerade die zwei Stufen zum Café heruntersteigt und dabei schon nach der Tür greift. Dass ich mich umdrehe und weitergehe, obwohl das Herz jetzt Anlauf nimmt und gegen meine Brust rennt. Und dass ich versuche, mich nicht zu fragen, wie lange Jonathan brauchen wird, um zu verstehen, dass ich nicht im Café sitze und dass ich auch nicht mehr kommen werde.
Zwei Tage später habe ich auf der Mailbox insgesamt sieben Nachrichten. Drei Anrufe kommen von meinem Chef, der ein paar neue traurige Menschen mit verstorbenen Verwandten akquiriert hat, deren Häuser ich leer räumen soll. Zwei Anrufe kommen von meinem Vater, der mich fragt, was denn nun mit der Wohnung seiner Eltern sei, ob und wann wir dort einziehen würden, und mir berichtet, dass meine Mutter uns gerne einen ordentlichen Herd schenken würde. Zwei Anrufe kommen von Anika, die sich darüber beschwert, seit Wochen nichts mehr von mir gehört zu haben. Null Anrufe kommen von Jonathan.
âDas wundert dich jetzt aber nicht wirklich, oder?
âNein, mein Herz. Ich habe es wohl nicht anders verdient.
âRichtig. Offensichtlich willst du uns unbedingt unglücklich machen. Ich habe diese Unentschlossenheit satt!
âAber was soll ich denn tun?
âAufhören, dir aus Angst vor Fehlern das Leben zu verbieten,
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