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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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kleingeistige Cops.« Mr. Petracelli sah auf und merkte, dass Bobby und ich noch immer auf der Schwelle standen.
    »Nehmen Sie Platz – bitte. Ich habe über die Jahre hinweg detaillierte Notizen gemacht. Wir müssen einiges durchsprechen.«
    Ich setzte mich auf das Sofa, Bobby nahm neben mir Platz. Mrs. Petracelli kam herein, stellte Kaffeetassen, ein Milchkännchen und eine Zuckerdose auf den Tisch. Sie verschwand schnell wieder.
    »Also, der zwölfte November 1982 …«
    Mr. Petracelli hatte tatsächlich alles genau aufgeschrieben. Im Laufe der Jahre hatte er haarklein Doris letzten Tag dokumentiert. Er wusste, wann sie morgens aufgestanden war, was sie gefrühstückt hatte, welche Kleider sie angehabt und welche Spielsachen sie mit in den Garten genommen hatte. Gegen Mittag hatte die Großmutter sie zum Essen gerufen. Dori wollte lieber eine Teestunde mit ihren Stofftieren am Picknicktisch veranstalten. Ihre Großmutter hatte nichts dagegen und stellte einen Teller mit Erdnußbutter-Sandwiches und einen mit einem aufgeschnittenen Apfel auf den Gartentisch. Sie beobachtete noch, wie Dori die Leckereien an ihre Stofftiere verteilte, dann ging sie zurück ins Haus, um die Küche in Ordnung zu bringen. Eine Nachbarin rief an, und die Großmutter plauderte einige Zeit mit ihr. Als sie nach zwanzig Minuten wieder in den Garten kam, saßen die Stofftiere noch an ihren Plätzen, jedes hatte ein Stück Sandwich und einen Apfelschnitz vor der Nase. Von Dori war keine Spur zu sehen.
    Mr. Petracelli wusste, um welche Uhrzeit der erste Anruf bei der Polizei eingegangen war. Er kannte den Namen des Cops, der den Anruf angenommen hatte, wusste, welche Fragen gestellt und wie sie beantwortet worden waren. Er hatte genau Buch über die Maßnahmen der Suchmannschaften geführt, die Namen der freiwilligen Helfer aufgelistet – einige von ihnen waren mit einem Sternchen versehen, das waren all jene, die kein überzeugendes Alibi für die Zeit zwischen 12:15 und 12:35 angeben konnten. Er kannte die Hundeführer, die ihre Dienste angeboten hatten, und die Taucher, die in den umliegenden Seen gesucht hatten. Er hatte die Polizeiarbeit und die Aktivitäten von sieben Tagen minutiös aufgezeichnet und Namenslisten erstellt.
    Dann besaß er auch noch Informationen über meinen Vater.
    Bobbys Gesicht war nicht abzulesen, was er über Mr. Petracelli dachte. Mr. Petracellis Stimme wurde gelegentlich lauter, dann wieder leiser, und manchmal spie er die Worte regelrecht aus, wenn er von Fehlern und Unterlassungen bei der Suche nach dem vermissten Mädchen berichtete. Von Zeit zu Zeit machte Bobby sich Notizen, aber meistens hörte er nur zu.
    Ich war vor allem an der Zeichnung interessiert. Ich wollte das Gesicht des Mannes sehen, der es wahrscheinlich auf mich abgesehen und meine beste Freundin umgebracht hatte.
    Die Realität war enttäuschend.
    Ich hatte die Bleistiftzeichnung von einem finsteren Typen mit stechenden Augen erwartet. Der Mann war jung – Anfang zwanzig, schätzte ich. Kurzes dunkles Haar. Dunkle Augen. Schmale, fast feine Kinnlinie. Er sah nicht aus wie ein Schurke. Eher erinnerte er mich an einen Jungen, der in der Pizzeria um die Ecke arbeiten könnte.
    Ich studierte die Zeichnung eingehend, wartete darauf, dass sie zu mir sprach, mir alle Geheimnisse erzählte. Sie blieb eine grobe Skizze von einem jungen Mann, der aussah wie zehntausend andere zwanzigjährige dunkelhaarige Männer in Boston.
    Ich verstand das alles nicht. Mein Vater war vor diesem Kerl weggelaufen?
    Bobby fragte Mr. Petracelli, ob es ein Fax im Haus gab, obschon wir beide eines auf dem Schreibtisch hinter Mr. Petracelli stehen sahen. Bobby erklärte, dass alles sehr viel schneller ginge, wenn er die Papiere gleich an seine Dienststelle faxte, dann könnten sich seine Kollegen unverzüglich an die Arbeit machen. Mr. Petracelli war überglücklich, endlich jemanden gefunden zu haben, der seine Aufzeichnungen ernst nahm und unverzüglich tätig wurde.
    Ich sah zu, wie Bobby die Fax-Nummer eintippte und eine Vorwahl hinzufügte, die eigentlich innerhalb von Boston nicht nötig war. Das einzige, was er faxte, war die Skizze.
    Den Rest der Papiere kopierte er und behielt die Duplikate. Mr. Petracelli wiegte sich in seinem Sessel vor und zurück; seine Wangen waren hochrot, und er strahlte über das ganze Gesicht. Die Aufregung hatte seinen Blutdruck sichtlich in die Höhe getrieben. Ich machte mir Sorgen, dass seine nächste Herzattacke nicht lange auf sich

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