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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Issaj Dawydowitsch. Spricht man denn auch hier über Frauen?«
    »Ja, bloß mischen Sie sich in dieses Gespräch nicht ein.«
    »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Issaj Dawydowitsch, ich halte die Frauen für besser als die Männer. Ich verstehe die Einheit des zweieinigen Menschen, Mann und Frau sind eins, und so weiter. Und trotzdem ist die Mutterschaft Arbeit. Die Frauen arbeiten auch besser als die Männer.«
    »Das ist wirklich wahr«, sagte Rabinowitschs Nachbar, der Buchhalter Besnoshenko. »Auf allen
udarniks
, auf allen Subbotniks steh besser nicht neben ner Frau – sie quält dich und hetzt dich. Du gehst eine rauchen, und sie wird böse.«
    »Das auch«, sagte Rabinowitsch zerstreut. »Gewiss, gewiss.«
    »Zum Beispiel an der Kolyma. Sehr viele Frauen sind ihren Männern hierher nachgereist – ein schreckliches Schicksal, die Avancen der Natschalniks, all dieser Rüpel, die sich mit Syphilis angesteckt haben. Sie wissen das alles so gut wie ich. Und kein einziger Mann ist seiner verbannten und verurteilten Frau nachgereist.«
    »Leiter der Sowjetischen Versicherungsanstalt war ich nur sehr kurz«, sagte Rabinowitsch. »Aber lang genug, mir ›einen Zehner zu holen‹. Ich habe viele Jahre die Außenaktiva von Gosstrach geleitet. Verstehen Sie, worum es geht?«
    »Ja«, sagte ich unbedacht, denn ich verstand es nicht.
    Rabinowitsch lächelte sehr anständig und sehr höflich.
    »Neben der Arbeit für die Staatliche Versicherung im Ausland«, Rabinowitsch sah mir in die Augen und merkte plötzlich, dass mich gar nichts interessierte. Zumindest bis zum Mittagessen.
    Nach einem Löffel Suppe kamen wir auf das Gespräch zurück.
    »Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen von mir. Ich habe viel im Ausland gelebt, und jetzt bitten mich in den Krankenhäusern, in denen ich gelegen, und in den Baracken, in denen ich gewohnt habe, alle darum, von einer einzigen Sache zu erzählen. Was ich dort wie und wo gegessen habe. Gastronomische Motive. Gastronomische Albträume, Phantasien, Halluzinationen. Wollen Sie das auch hören?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Gut. Ich bin ein Versicherungsagent aus Odessa. Ich habe bei ›Rossija‹ gearbeitet – das war eine Versicherungsagentur. Ich war jung und wollte meinem Herrn so redlich und gut wie möglich dienen. Ich hatte Sprachen gelernt. Wurde ins Ausland geschickt. Ich heiratete die Tochter meines Herrn. Ich habe im Ausland gelebt bis zur Revolution. Die Revolution hat meinem Herrn keinen großen Schrecken eingejagt – so wie Sawwa Morosow setzte er auf die Bolschewiki.
    Während der Revolution war ich im Ausland mit meiner Frau und meiner Tochter. Mein Schwiegervater starb ganz plötzlich, nicht durch die Revolution. Mein Bekanntenkreis war groß, aber meine Bekannten brauchten die Oktoberrevolution nicht. Haben Sie sie mich verstanden?«
    »Ja.«
    »Die Sowjetmacht kam gerade erst auf die Beine. Ich bekam Besuch – Russland, die RSFSR tätigte die ersten Käufe im Ausland. Sie braucht Kredit. Und zur Aufnahme eines Kredits reichen Verpflichtungserklärungen der Staatsbank nicht aus. Aber meine Unterschrift und meine Empfehlung reichen aus. So habe ich Kreuger, den Zündholzkönig , und die RSFSR zusammengebracht. Ein paar solcher Operationen – und ich durfte in die Heimat zurückkehren, und dort war ich mit einigen delikaten Dingen befasst. Haben Sie vom Verkauf Spitzbergens und der Abrechnung dieses Verkaufs gehört?«
    »Etwas habe ich gehört.«
    »Nun, ich habe das norwegische Gold in der Nordsee auf unseren Schoner umgeladen. Außer den Außenaktiva also – eine Reihe Aufträge in dieser Art. Mein neuer Herr wurde die Sowjetmacht. Ich diente ihm wie schon der Versicherungsgesellschaft – redlich.«
    Rabinowitschs gescheite ruhige Augen sahen mich an.
    »Ich werde bald sterben. Ich bin ein alter Mann. Ich habe das Leben gesehen. Meine Frau tut mir leid. Meine Frau ist in Moskau. Meine Tochter ist auch in Moskau. Sie sind noch nicht in die Hetzjagd auf die Familienmitglieder geraten … Wiedersehen werde ich sie sicher nicht mehr. Sie schreiben mir oft. Schicken Pakete. Und Ihnen? Schickt man Ihnen Pakete?«
    »Nein. Ich habe geschrieben, dass ich keine Pakete haben will. Wenn ich überlebe, dann ohne jede Hilfe von außen. Ich werde es nur mir selbst zu verdanken haben.«
    »Das hat etwas Ritterliches. Meine Frau und Tochter würden das nicht verstehen.«
    »Gar nichts Ritterliches, Sie und ich sind hier ja nicht jenseits von Gut und Böse, sondern jenseits alles

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