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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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in der Verbannung, und 1937 wurde ihm ein neues Urteil bekanntgegeben – fünfzehn Jahre Haft an der Kolyma. Gogoberidse ging auf die sechzig zu. Sein hoher Blutdruck machte ihm zu schaffen. Er wusste, dass er bald sterben wird, hatte aber keine Angst vor dem Tod. Er verabscheute Schurken, und als er feststellte, dass sich sein Doktor mit Namen Krol in der Abteilung, in der er arbeitete, bestechen ließ und den Häftlingen Geld abnahm, verprügelte Gogoberidse den Arzt und zwang ihn, die Chromlederstiefel und die »Streifenbuxen« an ihre Besitzer zurückzugeben. Die Kolyma verließ Gogoberidse nicht mehr. Er wurde freigelassen und auf Lebenszeit nach Narym verbannt, erwirkte aber die Erlaubnis, Narym gegen die Kolyma einzutauschen. Er lebte in der Siedlung Jagodnyj und starb dort Anfang der fünfziger Jahre.
    Der einzige
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unter unseren Dozenten war Doktor Krol – Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten aus Charkow. All unsere Lehrer versuchten, in uns den moralischen Anstand auszubilden und zeichneten uns in lyrischen Abschweifungen von den Lektionen ein Ideal der moralischen Reinheit, sie versuchten, in uns die Verantwortung für die große Sache der Hilfe für den Kranken, dazu noch den kranken Häftling, und dazu noch einen Häftling an der Kolyma, auszubilden und gaben, jeder so gut er konnte, das wieder, was ihnen in ihrer Jugend die Hochschulen, Medizinischen Fakultäten und der ärztliche Eid eingeschärft hatten. Alle, außer Krol. Krol zeigte uns andere Perspektiven auf, ging von einer anderen, ihm besser bekannten Seite an unsere Arbeit heran. Er zeichnete uns ständig Bilder des materiellen Wohlstands der Feldscher. »Sie verdienen sich die Butter aufs Brot«, kicherte Krol und lächelte wollüstig. Krol hatte ständig dunkle Geschichten mit den Ganoven – sie kamen sogar in der Pause zwischen den Lektionen. Er verkaufte, kaufte, tauschte etwas und genierte sich wenig vor seinen Studenten. Die Behandlung der Impotenz bei verschiedenen Vorgesetzten brachte Krol hohe Einnahmen und schützte ihn in der Zeit seiner Haft. Krol unternahm irgendwelche geheimnisvollen quacksalberischen Operationen in dieser Richtung – es war niemand da, der ihn zur Verantwortung zog, er hatte gute Beziehungen.
    Die beiden Backpfeifen, die er vom Feldscher Gogoberidse bekam, brachten Krol nicht aus der Fassung. »Du hast dich ereifert, Freund, ereifert«, sagte er dem vor Erbitterung grünen Gogoberidse.
    Krol genoß die allgemeine Verachtung sowohl seiner Dozenten-Kollegen als auch der Lehrgangsteilnehmer. Außerdem unterrichtete er wirr, er war als Lehrer nicht talentiert. Die Hautkrankheiten waren ein Bereich, den ich nach dem Lehrgang gründlich mit Bleistift und Papier nachlesen musste.
    Olga Stepanowna Semenjak, ehemalige Dozentin am Lehrstuhl für Diagnostische Therapie an der Medizinischen Hochschule Charkow, unterrichtete nicht in unserem Lehrgang. Aber wir machten bei ihr ein Praktikum. Sie brachte mir bei, einen Kranken abzuklopfen und abzuhören. Am Ende des Praktikums schenkte sie mir ein altes Stethoskop – eine meiner wenigen Kolyma-Reliquien. Olga Stepanowna war um die fünfzig, ihre zehn Jahre Haft waren noch nicht zu Ende. Verurteilt war sie für konterrevolutionäre Agitation. Ihr Mann und die zwei Kinder waren in der Ukraine geblieben – sie alle kamen im Krieg um. Der Krieg ging zu Ende, und zu Ende ging auch die Haftzeit von Olga Stepanowna, aber es gab nichts mehr, wohin sie zurückkehren konnte. Nach ihrer Freilassung blieb sie in Magadan.
    Olga Stepanowna hatte einige Jahre im Frauenabschnitt Elgen verbracht. Sie hatte die Kraft gefunden, mit ihrem großen Leid fertigzuwerden. Olga Stepanowna war eine aufmerksame Person und sah, dass nur eine Gruppe von Menschen im Lager ihr menschliches Antlitz bewahrt – die Religiösen: Kirchliche und Sektierer. Ihr persönliches Unglück veranlasste Semenjak dazu, sich den Sektierern anzunähern. In ihrem »Kabäuschen« betete sie zweimal am Tag, las das Evangelium und war bemüht, Gutes zu tun. Gutes zu tun war für sie nicht schwer. Niemand kann mehr Gutes tun als der Lagerarzt, doch ihr Charakter stand ihr im Weg – sie war störrisch, aufbrausend, überheblich. Auf Vervollkommnung in dieser Richtung achtete Semenjak nicht.
    Als Chefin war sie streng und pedantisch und hielt das Personal kurz. Den Kranken gegenüber war sie immer aufmerksam.
    Nach dem Arbeitstag bekamen die »Studenten« ihr Mittagessen in der Essensausgabe des Krankenhauses.

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