Küsse auf Eis - True Love and other Disasters
gekuschelt dalag. Er hatte Virgil gemocht, aber bei dieser Vorstellung wurde ihm schlecht. Vielleicht lag es an ihm, doch trotzdem glaubte er, nicht allein mit der Überzeugung dazustehen, dass ein einundachtzigjähriger Mann schlicht und ergreifend nicht die Ausdauer hatte, eine Dreißigjährige im Bett auf Dauer glücklich zu machen. Virgil mochte jahrzehntelange Übung und mehr Geld als Krösus gehabt haben, allerdings brauchte es mehr als das. Man brauchte ein gesundes Stehvermögen, um eine Frau wie sie zu befriedigen.
Er klappte das Magazin zu und dachte an das Telefongespräch, das er am Tag von Virgils Beerdigung mit angehört hatte. Virgil mochte genug Geld gehabt haben, um seine junge Frau glücklich zu machen, aber Ty ginge jede Wette ein, dass es einen anderen gegeben hatte, der ein zufriedenes Lächeln in ihr Gesicht gezaubert hatte.
Aus der fünfundzwanzigsten Etage über der Stadt sah Faith durch die über zwei Stockwerke reichende Glasfassade auf die Lichter von Seattle und den dichten Nebel, der die Gewässer der Elliot-Bucht verhüllte. Durch die diesige Nacht konnte sie Virgils Anwesen fast genau orten. Sehen konnte sie es zwar nicht, aber sie hatte fünf Jahre dort gelebt und kannte es gut.
Sie musste daran denken, als Virgil sie zum ersten Mal mit zu sich nach Hause genommen hatte. Obwohl sie sich gerade einmal einen Monat kannten, hatten sie spontan in Las Vegas geheiratet. Sie hatte einen Blick auf den Riesenkasten draußen auf der Insel geworfen, fast einen Herzkasper bekommen und sich gefragt, ob sie sich in der großen, weitläufigen Villa nicht verlaufen würde.
Sie musste daran denken, als sie Virgil zum ersten Mal auf einer Playboy -Party im Palms Hotel gesehen hatte, bei deren Organisation sie geholfen hatte. An jenem Abend hatte er ihr ein Angebot gemacht, das sie abgelehnt hatte. Nach der »Playmate des Jahres«-Feier in der Playboy Mansion hatte er es dann erneuert. Er hatte ihr versprochen, ihr die Welt zu zeigen und alles, was sie zu bieten hatte; im Gegenzug müsste sie nur so tun, als liebte sie ihn wegen mehr als nur aufgrund seines Geldes. Er hatte ihr für jedes Jahr, das sie mit ihm verheiratet blieb, eine Million Dollar versprochen, und sie hatte eingewilligt.
Anfangs hatte sie sich noch überlegt, nach ein paar Jahren auszusteigen. Doch nach kurzer Zeit wurden sie die besten Freunde. Er hatte ihr Güte und Respekt entgegengebracht, und zum ersten Mal im Leben hatte sie gewusst, wie es war, sich sicher und geborgen zu fühlen und sich um nichts sorgen zu müssen. Und gegen Ende der ersten zwölf Monate liebte
sie ihn. Nicht wie einen Vater, sondern wie einen Mann, der ihre Zuneigung und ihren Respekt verdiente.
Er hatte Wort gehalten und in den ersten Jahren ihrer Ehe mit ihr die ganze Welt bereist. Sie hatten alle Kontinente besucht und waren in exklusiven Hotels abgestiegen. Sie waren mit Luxusyachten übers Mittelmeer geschippert, hatten in Monte Carlo in Kasinos gespielt und an den weißen Sandstränden von Belize gefaulenzt. Doch kurz nach ihrem zweiten gemeinsamen Jahr hatte Virgil einen massiven Herzanfall erlitten, wonach sie nicht mehr außer Landes gereist waren. Stattdessen waren sie in Seattle geblieben und hatten ihre gesellschaftlichen Kontakte mit seinen Freunden gepflegt. Doch meist waren sie daheim in dem großen Haus auf der Insel geblieben. Faith hatte das nichts ausgemacht. Sie hatte sich um ihn gekümmert und es sehr gern getan.
Aber körperlich geliebt hatten sie sich nie.
Alles Geld der Welt, alle Operationen und Wunderpillen hatten nicht verhindern können, dass Virgils Alter und sein Diabetes ihn der einzigen Aktivität beraubten, die ihm das Gefühl gab, ein vitaler Mann zu sein. Schon lange bevor er Faith getroffen hatte, war er nicht mehr in der Lage gewesen, eine Erektion zu bekommen und aufrechtzuerhalten. Nichts hatte bei ihm gewirkt, und sein gewaltiger Stolz und sein gigantisches Ego hatten ihn nach der besten Lösung suchen lassen. Nach einer viel jüngeren Frau, mit der er sich wenigstens den Anschein geben konnte, ein sexuell aktiver Mann zu sein. Einem Nacktmodell.
Wenn sie vollkommen ehrlich war, musste sie zugeben, dass ihr das ganz recht gewesen war. Nicht nur, weil er einundfünfzig Jahre älter war, obwohl auch das eine Rolle gespielt hatte - besonders am Anfang. Aber vor allem mochte
Faith das Ungewisse an Sex nicht. Man sah einem Mann nie an, ob er gut im Bett war. Es gab keine Möglichkeit, es herauszufinden, bevor es zu
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