Küstengold: Kriminalroman (German Edition)
Stuhr mit ihm abends um die Häuser gezogen,
aber nach dem gestrigen Treffen mit dem Kommissar hatte sich Stuhr schnell verdrückt.
Natürlich hatte er nicht verraten, mit wem er über sein Handy Botschaften austauschte.
Dennoch lag die Vermutung nahe, dass der Grund in Hamburg wohnte, blond war und
Jenny Muschelfang hieß, denn wie schon im letzten Sommer fand sich in seiner neuen
Wohnung nicht ein Schluck Bier.
Nachdenklich
schlenderte Olli am Seegarten entlang. An der neuen Museumsseebrücke lagen friedlich
mehrere alte Dampfer vertäut, die nur leicht vom Wellenschlag geschaukelt wurden.
Unweit entfernt lag der renovierte Sell-Speicher, den er interessiert passierte.
Er erinnerte sich, dass Kommissar Hansen gestern berichtet hatte, dass unweit von
diesem Gebäude dieser Vladimir seinen Löffel abgeben musste.
Neugierig
betrat Olli das Hafenvorfeld. Er hielt inne und schaute sich um. Tatsächlich, weiter
zur Hafenkante hin waren noch etliche blasse Blutspuren auf dem Pflaster auszumachen.
Unweit vom Kai bemerkte er eine junge Frau, die völlig untypisch für diese Jahreszeit
einen weißen Nerzmantel und hohe Stiefel trug. Sie starrte unbeweglich auf die Stelle,
an der dieser Vladimir ins Wasser geschoben worden sein musste.
War sie
eine Hinterbliebene? Vladimirs Frau – oder eine Schwester? Olli hätte sie gern angesprochen,
aber er traute sich nicht. Eine hübsche blonde Frau, gestiefelt in einem Nerzmantel,
und das genau gegenüber vom Kieler Rotlichtviertel? Nein. Wer weiß, welchen Ärger
er sich damit einholen würde? Olli setzte seinen Weg fort.
»Halt, bitte warten Sie!«, rief
ihm eine helle Stimme nach, die er nur der jungen Frau zuordnen konnte. Er drehte
sich um. Die Frau im Nerzmantel stakste direkt auf ihn zu. »Darf ich Sie um einen
Gefallen bitten? Ich hätte gern ein Bild von mir, genau an dieser Stelle. Macht
es Ihnen etwas aus, mich mit meinem Handy zu fotografieren?«
Sie sprach
ziemlich gut Deutsch, aber geboren war sie hier nicht. Ihre Augen waren verweint,
aber sie hatte sich im Griff. Olli nickte. Als sie ihm das Handy überreichte, bemerkte
er ihre gepflegten weißen Fingernägel. Er schaute ihr dabei tief in die blauen Augen.
Sie war eine schöne Frau, die sich gekonnt in Positur stellte. Traurig war sie,
aber deswegen nicht unattraktiv. Er drückte den Auslöser.
Sie nahm
ihr Handy dankend in Empfang und betrachtete nachdenklich das Foto.
Sie tat
Olli leid. Er fragte, ob er ihr helfen könne. Sie zögerte einen Moment. Dann flüsterte
sie fast. »Ja, aber ich traue mich nicht, Sie um etwas zu bitten.«
Olli runzelte
die Stirn. Diese schöne Frau traute sich nicht? Olli lächelte sie an, damit sie
Mut fassen konnte, ihren Wunsch zu äußern.
Sie holte
tief Luft. »Ein Bekannter ist gestern Abend an dieser Stelle umgebracht worden.
Dort, wo ich geboren bin, trinkt man bei solchen Anlässen einen Wodka. Dann geht
das Leben weiter, sagen wir. Leisten Sie mir dazu Gesellschaft? Bitte, ich lade
Sie ein.«
Das kam
unerwartet. Olli fühlte den edlen Ritter in sich hochsteigen. Sicher, er würde ihr
beistehen, wenn sie denn wollte. Aber wo? In den Kneipen vom Kieler Rotlichtviertel
kannte er sich nicht aus.
Sie schien
seinen zögernden Blick zu bemerken. »Es ist ganz egal, wo. Wir können einfach da
hinübergehen.« Sie zeigte auf das Nevada. »Tagsüber ist es an der Kieler Küste immer
friedlich. Führen Sie mich dorthin? Bitte.«
Er überlegte
nicht lange. Kurzerhand hakte er sich bei ihr ein und überquerte mit ihr die vierspurige
Straße. Sie fühlte sich gut an.
Wenig später
betraten sie das Etablissement. Zunächst mussten sie an einem Mann mit einem riesigen
Hund vorbeikommen, was Olli abgrundtief hasste. Er zog die junge Frau fester an
sich, um sich erfolgreich vorbeizudrücken. An der Bar redete der Barkeeper mit heftigen
Gesten russisch auf Ollis Begleiterin ein, die sich aber lautstark zu wehren wusste.
Dann bestellte sie zwei Wodkas, was den Barkeeper sichtlich irritierte. Es schien
hier eine Männerdomäne zu sein.
Es dauerte
eine Weile, bis der Barkeeper die Getränke servierte. Ein freundliches Gesicht aufzusetzen
schaffte er jedoch nicht.
Mit einem
entwaffnenden Lächeln wandte sie sich ihm mit den beiden Wodkas zu. Sie stießen
an. Noch keine zwölf Uhr mittags, und schon klangen die Gläser.
Olli stellte
sich vor. »Oliver Heldt. Kurz Olli. Ich komme aus Hamburg. Prost!«
Sein Gegenüber
beugte sich vor und bedankte sich mit einem zärtlichen Kuss. Dann
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