Kurbjuweit, Dirk
glauben, dass es sich nicht lohnt, hier rauszufahren, und ich will nicht
den ganzen Tag im Lager hocken.»
«Ich weiß
nicht, was ich ihn fragen soll.»
Tauber
schwieg.
«Dann
gehen wir jetzt», sagte sie zum Schuldirektor, «Montag kommen wir wieder, das
wissen Sie ja.»
Montags
und donnerstags, das war der Rhythmus.
«Zum
Ehemaligentreffen», sagte der Schuldirektor.
Als sie
zurückfuhren, war sie wütend, dass Mehsud sie so behandelt hatte, aber die
letzte Bemerkung, die mochte sie. Tauber erzählte ihr, dass ihr Vorgänger immer
eine knappe Stunde mit dem Schuldirektor geplaudert habe. Das sei doch
sinnvoll, dass man ein Vertrauensverhältnis zu den Einheimischen aufbaue. Ihr
kam es wie ein Albtraum vor, eine Stunde lang mit diesem verstockten Menschen
reden zu müssen, aber sie wollte auch nicht jeden Tag im Lager bleiben. Tauber
schlug vor, einen kleinen Umweg zu machen, damit sie erst zum Dienstschluss
zurück seien.
Sie kamen
in eine kleine, lebendige Stadt; Menschen, Männer, drängten sich auf der
Hauptstraße, sie mussten langsam fahren und hielten schließlich an. Sie fühlte
sich nicht wohl, hundert starrende Augen, aber Tauber sagte, dass alles in
Ordnung sei. Wahrscheinlich hätten sie noch nie eine Frau in Uniform gesehen.
Fliegende Händler huschten vorüber, sie waren jung, zwölf, dreizehn Jahre alt,
schätzte Esther. Jungs, die kleine Speisen oder Tee verkauften. Einer war mit
Dutzenden Tüchern behängt, er kam nahe an den Wolf heran, sah Esther in die
Augen und wedelte sanft mit einem dunkelroten Tuch. Sie schüttelte den Kopf.
«Möchten
Sie ein Tuch?», fragte Tauber. «Sie sind gut gegen den Staub.»
Sie
schaute unschlüssig.
«Kommen
Sie, wir kaufen ein Tuch für Sie, aber nicht bei dem. Es gibt bessere.»
Er stieg
aus, und als sie zögerte, winkte er ihr. Sie stieg ebenfalls aus, mit ihrem
Gewehr. Sie machte ein paar Schritte auf Tauber zu, und die Menge teilte sich.
«Hängen
Sie das Gewehr über Ihre Schulter, es ist okay hier.»
Sie tat
das, Mündung nach unten, und ging dann an Taubers Seite zu der Ladenzeile am
Straßenrand. Männer blieben stehen, starrten, flüsterten miteinander. Aber
niemand blickte böse, niemand griff nach ihr. Sie betraten einen Laden, der
auf Tücher spezialisiert war. Es gab Tücher aus Wolle und aus Seide, der
Verkäufer zog dauernd neue aus den Regalen und breitete sie vor ihr aus, mit
einer schnellen Bewegung, sodass sie wie Blütenwolken aufstoben, bevor sie
langsam niedersanken und sich in bizarren Faltenwürfen auf die Ladentheke
legten. Draußen drückten sich Männer mit Mützen und Turbanen gegen das Fenster
und die Tür und schauten neugierig. Der Laden hatte sich in ein Meer aus
Tüchern verwandelt. Esther konnte sich nicht entscheiden, deshalb breitete der
Verkäufer immer weiter Tücher aus. Sie stand vor einem Spiegel, legte ein Tuch
um ihren Hals, legte es weg, nahm ein neues. Tauber und der Verkäufer tauschten
Blicke und verständigten sich darauf, dass sie eine komplizierte Frau sei. Aber
es gab wirklich nichts, was mit dem Flecktarnanzug harmonierte. Schließlich war
es ihr egal, und sie entschied sich für ein grün-gelbes Pashminatuch. Der
Verkäufer schrieb eine Zahl auf ein Stück Pappe, Tauber strich sie aus und
schrieb eine weit niedrigere Zahl darunter. Als der Verkäufer auf dem Preis
bestand, der genau in der Mitte der zuerst notierten Zahlen lag, schob Tauber
Esther zur Ladentür. Sie wurden zurückgerufen und kauften den Schal zu dem
Preis, den Tauber zuletzt vorgeschlagen hatte. Sie gingen zurück zu den
Wölfen, einer der Infanteristen saß auf dem Dach, sein Gewehr auf den
Oberschenkeln. Er rauchte. Esther hatte plötzlich das Gefühl, als liefe eine
große Spinne durch ihr Haar. Sie drehte sich abrupt um und sah noch, wie ein
alter Mann seine faltige Hand zurückzog. Ein Auge war weiß und tot, sein Mund
stand offen, zahnlos. Die Männer ringsum grinsten.
Im Wolf
band sie sich das Tuch um Kopf und Hals, sodass nur noch ihre Augen frei
waren. Tatsächlich war sie nun gut vor dem Staub geschützt, aber sie sah auch
sehr nach Frau aus, wenig nach Soldatin, und benutzte das Tuch auf den nächsten
Fahrten nicht mehr.
Nach drei
Wochen bekam sie Angst, dass die Fahrten zu einer weiteren Routine werden
könnten. Sie hatte sich so darauf gefreut hinauszukommen, aber nun musste sie
sich eingestehen, dass ihr die Ausflüge zur Qual wurden. Das lag an diesem
Schuldirektor, der auf ihre Fragen nur knapp antwortete, und
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