Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
Vom Netzwerk:
werden? Ich musste
sie ermahnen, leise zu reden. Die Wände unserer Wohnung waren dünn, und wir
wussten nicht, welche unserer Nachbarn auf Seiten der Taliban standen. Ich
sagte dem Nachbarn, mit dem ich über die Flucht gesprochen hatte, dass wir fest
entschlossen seien. Die Leute, die Menschen über die Grenze brachten, wollten
fünfhundert Dollar für mich und je tausend Dollar für meine Frau und meine
Tochter. Wir hatten fünftausend Dollar gespart, weil wir ohnehin irgendwann
auswandern wollten, in Afghanistan kann man nicht leben, konnte man nie leben,
es sei denn, man ist ein Warlord. Für einen Warlord ist Afghanistan das
Paradies, für alle anderen nicht. Mein Nachbar nahm die Hälfte als Anzahlung,
dann hörte ich eine Weile nichts von ihm. Aber ich traute diesem Mann, er hatte
mich nie enttäuscht. Nach zwei Wochen klopfte er abends an meine Tür und sagte,
dass wir in der folgenden Nacht um zwei Uhr zu einem Treffpunkt am Rand der
Stadt kommen sollten. Aber wie sollen wir das schaffen?, habe ich gefragt. Ich
kann doch nicht mit meiner Frau und meiner Tochter nachts durch die Straßen
laufen. Wenn die Taliban uns erwischen, werden sie uns töten. Er sagte, dass es
keinen anderen Weg gebe. Am nächsten Tag kaufte ich etwas Proviant und ein paar
Flaschen Wasser. Nachdem ich die Sachen zu Hause abgeliefert hatte, erkundete
ich den besten Weg zum Treffpunkt, einer verlassenen Fabrikhalle. Unserer
Tochter haben wir gesagt, dass wir in der Nacht nach Amerika aufbrechen würden,
sie kannte Amerika aus ihrem Englischbuch. Sie müsse schleichen wie ein
Indianer, still sein wie beim Versteckenspielen. Um elf Uhr abends sind wir
aufgebrochen, ich ging voraus, meine Tochter lief in der Mitte. Zum Glück waren
die Straßen nicht beleuchtet. Fußgänger waren nicht unterwegs, wenn ein Auto
kam, drückten wir uns in einen Hauseingang oder liefen hinter die nächste Ecke.
Es ging gut, um halb zwei waren wir an der Fabrikhalle. Dort warteten schon
andere Flüchtlinge. Um zwei Uhr waren wir neun Männer und vier Frauen, darunter
zwei Jungs und ein Mädchen, meine Tochter. Wir warteten eine Weile, aber
niemand kam, und ich machte mir schon Sorgen, dass sie uns reingelegt hatten.
Ich sprach mit einem Mann, den ich kannte, aber er wusste auch nicht, was los
war. Um viertel vor drei kamen zwei Pick-ups vorgefahren. In jedem saßen vorne
zwei Männer. Die Fahrer blieben sitzen, die anderen stiegen aus und sammelten
das Geld bei uns ein. Dann sagten sie, die Männer sollten sich auf die
Ladefläche des vorderen Pick-ups setzen, die Frauen auf den hinteren Pick-up.
Ich protestierte, genauso die beiden anderen Männer, die mit ihren Frauen
gekommen waren. Aber wir hatten keine Chance. Sie sagten, dass sie uns nicht
mitnehmen würden, wenn wir ihre Regeln nicht akzeptierten. Was sollten wir
tun? Den Weg zurückgehen, die Gefahr noch einmal auf uns nehmen, um wieder in
der Hölle zu landen? Ich habe mich mit meiner Frau beraten, und sie hat gesagt,
dass sie das auf keinen Fall tun werde. Wir teilten unseren Proviant, sie nahm
unsere Tochter und stieg auf den hinteren Pick-up. Alle akzeptierten
schließlich die Trennung. Wir setzten uns auf die Ladeflächen, und die Autos
fuhren los, ohne Licht. Eine Weile sah ich noch die Schemen des hinteren Wagens
in unserem Staub, dann verschwand er. Das war kein gutes Gefühl, aber ich war
nicht übermäßig besorgt, weil es ja kein Scheinwerferlicht gab, das ich hätte
sehen können. Wir haben unterwegs niemanden bemerkt, sind keinem anderen
Fahrzeug begegnet, nur einmal habe ich am Himmel ein Flugzeug gehört, weit
oben. Wir sind ungefähr vier Stunden gefahren, und es war beinahe hell, als
unser Pick-up hielt. Der Beifahrer sagte, wir sollten absteigen, von hier sei
es eine halbe Stunde zu Fuß bis zum nächsten Flüchtlingslager. Und der andere
Pick-up?, habe ich gefragt. Kommt bald, sagte der Beifahrer. Wir sind
abgestiegen, der Pick-up hat gewendet und ist zurückgefahren. Wir haben uns an
den Rand der Straße gesetzt und gewartet, auch die Männer, die keine Frauen
dabeihatten. Wir wollten zusammenbleiben, bis zum Flüchtlingslager. Nach einer
halben Stunde sahen wir eine Staubwolke aus Richtung Afghanistan kommen, aber
das war nicht der Pick-up mit den Frauen. Nach zwei Stunden sind die Männer,
die keine Frauen dabeihatten, gegangen. Es wurde heiß, unsere Wasser- und Essensvorräte
waren aufgebraucht. Wir anderen warteten den ganzen Tag und die ganze Nacht.
Der eine war Zahnarzt, der

Weitere Kostenlose Bücher