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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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fragte sie leise. Sie sah ihn an, er nickte. «Ich heiße Esther.»
    «Bist du
Jüdin?»
    «Nein.»
    «Mehsud.»
     
    Bei ihrem
nächsten Besuch standen eine Kanne Tee und zwei Tassen auf dem Schreibtisch. Er
goss den Tee ein, zeigte dann mit der Hand, dass sie sich eine Tasse nehmen
könne. Sie holte den Tee und setzte sich auf den Boden. Das Gewehr lag neben
ihr, sie hielt die dampfende Tasse mit beiden Händen vor den Mund und pustete
hinein.
    «Haben Sie
über meine Schuld nachgedacht?», fragte Mehsud.
    «Du, haben
wir uns nicht auf du geeinigt?»
    «Hast du
über meine Schuld nachgedacht?»
    «Ich denke
nicht, dass du schuldig bist.»
    «Natürlich
bin ich schuldig. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass wir getrennt werden.
Das ist die eine Schuld. Ich hätte zurückgehen müssen, als klar war, dass die
beiden nicht kommen würden. Das ist die zweite Schuld. Die zweite Schuld ist
größer. Der Trennung hat meine Frau zugestimmt. Ich hätte mich natürlich
durchsetzen müssen als Mann, insofern ist das kein großer Trost. Im zweiten
Fall gibt es überhaupt keinen Trost. Ich hätte sofort nach Dschalalabad
zurückkehren müssen, um die Suche aufzunehmen.»
    «Es wäre
gefährlich gewesen, das zu tun», sagte Esther. «Sie haben doch erzählt, dass
Sie, nein, du hast doch erzählt, dass du damit rechnen musstest, abgeholt zu
werden.»
    «Wäre es
gefährlich gewesen? Wir hatten schon längere Zeit unter den Taliban gelebt.
Niemand kam, um mir etwas anzutun. Niemand fragte nach mir. Die Taliban haben
sich nicht für mich interessiert.»
    «Nach
einer Rückkehr hätten sie gewusst, dass ihr geflohen seid. Sie hätten gewusst,
dass du nicht einverstanden bist mit ihnen.»
    «Möglich.
Dieser Gedanke kommt vor in meinen Grübeleien. Aber hätte ich nicht jede
Gefahr auf mich nehmen müssen, um meine Familie zu finden, zu retten?»
    Sie sagte
nichts. Sie hatte keine Antwort darauf.
    «Siehst
du. Es gibt allerdings etwas, das mich entschuldigen könnte. Ich habe von
Shamshatoo aus Leute bezahlt, damit sie für mich in Dschalalabad
recherchieren. Sie beobachteten unsere Wohnung, sie redeten mit meinem
Nachbarn, sie redeten mit dem Elektrohändler, der seine Frau auch nicht finden
konnte, sie hörten sich in der Stadt um. Nichts. Wir galten als Flüchtlinge,
man vermutete uns in Pakistan. Entschuldigt mich das?» ..Ja.»
    «Nein. Ich
hätte selbst suchen müssen. Niemand sucht so fanatisch wie ein Mann, der seine
Familie vermisst.» Er machte eine Pause, nahm einen Schluck Tee und sprach in
den Tee hinein: «Wenn er sie vermisst.»
    «Du hast
deine Familie vermisst. Sonst hättest du nicht ewig gesucht.»
    «Aber in
Dschalalabad habe ich nicht gesucht. Nicht alle meine Agenten, wenn ich sie so
nennen darf, kamen zurück. Einer soll ermordet worden sein, habe ich gehört.
Entschuldigt mich das?»
    «Unbedingt.
Man hätte dich auch ermordet, dich erst recht.»
    «Ich
glaube nicht, dass es die Taliban waren. Ich glaube, es waren die Leute, die
meine Frau und meine Tochter verschleppt haben.»

«Vielleicht
war es ein Unfall in der Wüste.»
    «Möglich,
nicht wahrscheinlich. Ich habe sie vermisst, das kann ich dir sagen. Ich habe
sie vermisst bis zu dem Gedanken, dass ich ohne sie nicht leben kann. Ich habe
versucht, mich umzubringen, aber ich wurde zu früh gefunden. Dennoch: Ich kann
mir meines Vermissens nicht gewiss sein, denn ich habe nicht konsequent gesucht.
Das Gefühl, das mein Leben bestimmt wie kein zweites, unterliegt einem Zweifel.
Verstehst du, was das heißt?»
    «Du hast
versucht, dich umzubringen. Das macht man nur, wenn man verzweifelt vermisst.»
    «Vielleicht
wollte ich mich in Wahrheit umbringen, weil ich die unterlassene Suche in
Dschalalabad nicht aushalten konnte. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob ich
meine Frau und meine Tochter loswerden wollte. Wir hatten eine gute Ehe, es gab
Probleme, klar, vor allem, als wir so eng aufeinandergehockt haben, weil sie
nicht mehr arbeiten durfte, aber ich kann mich nicht an den Wunsch erinnern,
dass ich meine Frau loswerden wollte. Meine Tochter natürlich auch nicht.»
    «Für mich
bist du unschuldig.»
    «Das Wort
gibt es nicht in diesem Land. Man kann es aussprechen, aber es hat keine
Bedeutung. Dies ist kein Land für Unschuld, in Afghanistan gibt es nur Schuldige.»
    «Das
glaube ich nicht.»
    «Weil du
eine Deutsche bist. Die Deutschen haben so viel Schuld auf sich geladen, dass
sie schon ein bisschen Schuld mehr nicht aushalten können. Ich habe

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