Kurbjuweit, Dirk
wurde geschlossen. Ina fand das eine schlechte Nachricht, Esther
eine gute. Es war still im Lager, weil keine Konvois aufbrachen oder ankamen.
Am Nachmittag gab es fast kein Leben mehr, ein Gefühl, als sei der Krieg gegen
die Hitze verloren worden. Die Soldaten waren auf ihren Stuben, dösten,
putzten ihr Gewehr. Die Sonne sank, aber ihre Kraft blieb. Esther lief ein paar
Runden, eine Wache winkte vom Turm, sie winkte zurück, ohne zu wissen, wem.
Sie kämpfte gegen die Hitze, die wie eine bewegliche Wand langsam vor ihr
herlief, und sie musste ständig schieben, um voranzukommen, und sie kämpfte
gegen ihre Gedanken an Mehsud, weil sie nicht nur an Mehsud denken wollte, die
immer gleichen Gedanken an einen Kuss, an mehr als einen Kuss.
Als Maxi
abends auf die Stube kam, brachte sie eine DVD mit, die ihr ein Leutnant von den
Kampfmittelbeseitigern gebrannt hatte. «Heiße Ware», sagte sie. Sie setzten
sich auf den Boden zu Fatimas Füßen und schauten sich den Film gemeinsam auf
Inas Laptop an. Man sah nicht viel, die Bilder waren dunkel, grünstichig.
«Wärmebildkamera», sagte Esther. «Unser Lager», sagte Maxi.
Auf jedem
Turm war eine Wärmebildkamera, mit der nachts das Lager überwacht wurde. Esther
sah zwei helle Schemen, die sich langsam aufeinander zubewegten. Eine Uhr lief
mit, auch das Datum war eingeblendet. Frühe Morgenstunde. Die beiden Schemen
trafen sich, verschmolzen miteinander, dann war ein helles Zucken zu sehen.
Esther prustete los, Maxi fiel ein.
«Irgendwie
bringen es diese Bilder auf den Punkt», sagte Esther und lachte wieder.
Ina
weinte. Esther hörte auf zu lachen.
«Was
ist?», fragte Maxi.
«Nein»,
sagte Esther.
«Doch»,
sagte Ina.
«Das bist
du?»
«Ja.»
«Mit wem?»
«Mit dem
Oberleutnant.»
«Welchem
Oberleutnant?»
«Der uns
im Lummerland angesprochen hat, mit dem Stabsarzt.»
«Der
Mullah-Omar-Oberleutnant?»
«Er ist
fesch.»
«Glaubst
du etwa diesen Quatsch?» Ina zuckte mit den Achseln.
«Lass
sie», sagte Maxi.
«Niemand
kann dich erkennen», sagte Esther. «Man hat mich gesehen, als ich zurückkam,
und die Zeit und das Datum sind auf dem Film.»
«Scheiße.»
«Scheiße,
ja.»
«Wenn Robert
das erfährt, kann ich gleich hierbleiben.»
Am
folgenden Tag, als sie gemeinsam vom Mittagessen kamen, sprach ein
Hauptgefreiter Ina an und sagte, dass sie ja ganz schön heiß sei. Maxis Faust
landete mit einer Wucht in seinem Gesicht, die alle verblüffte. Der
Hauptgefreite knickte ein und fiel auf die Seite. Gesagt wurde nichts.
Ina rief
ihren Mann täglich an, mit großer Angst, irgendjemand könne ihm etwas gesagt
haben. So ging das eine Weile, bis Maxi eines Abends ein Gespräch über Würde
begann. Sie erzählte, wie ihre Mutter, die als Kassiererin arbeitete, ihr
eines Tages gebeichtet hatte, dass sie spontan ein Shampoo für 65 Cent hatte
mitgehen lassen, das billigste Shampoo, das es gab in dem Lidl. Danach
marterte sie sich wochenlang, bis sie sagte, es sei würdelos, so zu leben, und
65 Cent in die Kasse legte. Am nächsten Abend kam Ina zurück vom Telefonieren
und sagte, ihr Mann wisse alles, aber nicht von anderen, sondern von ihr. Er
habe ihr vergeben.
Am dritten
Tag nach dem Raketenangriff schlug die Stimmung noch einmal um. Die Fahrten
waren nach wie vor eingeschränkt, es fehlte die Bewegung, der Austausch.
Einige Soldaten wurden missmutig und nervös. Esther stellte sich zu einer
Gruppe von Männern, in der ein Stabsfeldwebel das Wort führte. Es sei doch
lächerlich, sagte er, sich hier so einzumauern, die hätten doch nur mit
selbstgebastelten Feuerwerkskörpern geschossen, das könne doch nicht tausend
Mann festnageln. Ein Soldat stimmte zu, ein anderer widersprach: sein.>»
«Angst?»,
fragte der Stabsfeldwebel. Bald stritten sie heftig, Esther zog weiter. Die
Stimmung wurde noch schlechter, als beim Mittagessen die Kopie eines Zeitungsartikels
die Runde machte. Ein paar Soldaten hatten sich verbotene Filme angeschaut,
darunter «Triumph des Willens» von Leni Riefenstahl. «Nazi-Filme bei der
Bundeswehr», hieß die Überschrift. Esther hatte davon nichts mitbekommen. Am
Nachmittag wurde verbreitet, dass es eine Untersuchung geben würde.
Thilo
hatte ihr die Olympiafilme der Riefenstahl gezeigt, nicht «Triumph des
Willens». Er rief begeistert, sie solle auf die Kamerafahrten achten, die
Riefenstahl habe das erfunden, die habe ihren Kameramann in ein Wägelchen
gesetzt, das von anderen geschoben wurde. Esther sah
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