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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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sei. «Unverändert», sagte Esther, «unverändert», sagte Tauber ins
Telefon. Seine Stimme war noch leiser und noch schwächer, und sie sah
erschrocken zu ihm, aber der Blutfleck auf seiner Hose war nicht größer
geworden, und er lächelte ihr kurz zu. Sie lächelte zurück.
    Schüsse,
der Wolf neigte sich zur Fahrerseite, sie hatten einen Reifen getroffen oder
beide. Als es wieder ruhig war, hörte sie Wasser aus dem Kühler laufen. Sie
spürte die Hitze, zum ersten Mal, seitdem der Überfall begonnen hatte. Sie sah
Schweiß und Blut auf ihren Unterarmen, vermischt mit gelbem Sand. Sie erschrak
erst über das Blut, aber das war nicht viel, sie hatte ein paar Glassplitter
abbekommen, sie steckten noch in ihrer Haut. Ein leichter Wind kam auf, strich
über das Gras, das am Flussbett wuchs. Ein Stück weit den Fluss hinauf standen
Apfelbäume, die nicht viel anders aussahen als die Apfelbäume im Garten ihrer
Eltern. Ein Pferd war an einen der Bäume gebunden, ein braunes Pferd mit
schwarzem Schweif und schwarzer Mähne. Zum Glück steht es außerhalb der
Schusszone, dachte sie und wunderte sich, wie ruhig es blieb, als sei es
Gefechte gewöhnt.
    Sie dachte
daran, wer sie vermissen würde: ihre Mutter, ihr Vater, Thilo, Greta, Ina,
Maxi, vielleicht Henriette und Paulus, Major Klimmt. Und Mehsud? Ja, entschied
sie, er würde sie vermissen, die deutsche Soldatin, die in seine Schule kam, um
ihn zu küssen. Sie stellte sich die Welt ohne sich selbst vor und merkte, dass
das nicht so einfach war. Sie sah Thilo und Greta beim Frühstück, zu zweit,
ohne Esther, aber irgendwie saß sie doch mit am Tisch.
    «Der Pilot
will mit dir reden», sagte Tauber und warf ihr das Telefon zu. Sie fing es auf
und meldete sich.
    «Ich höre,
ihr habt Probleme dort unten», schnarrte jemand, es war die Stimme einer Frau.
Sie sprach Englisch und sagte nicht «problems», sonders «probs». Esther war
irritiert, sie hatte keine Frau erwartet.
    «Wir haben
ein Gefecht», sagte Esther.
    «Ah,
Ladies Day. Ich heiße Sally.»
    «Esther.»
    «Honey, sag
mir mal, wie die Lage ist da unten.» Esther bestätigte die Koordinaten und
beschrieb die Situation.
    «Dann
werden wir die mal wegputzen», sagte Sally. Ihre Stimme klang munter, fast
heiter.
    Esther
schaute in den Himmel, spähte nach den Hubschraubern, aber sie sah nur ein
paar weiße Wolken, die zügig vorwärtsstrebten, als hätten sie ein klares Ziel.
    «Habt ihr
irgendwelche Zivilisten gesehen?»
    «Nein.»
    «Gut, dann
zieht die Köpfe ein.»
    Sie sah
die beiden Hubschrauber, zwei dunkle Punkte zwischen den Wolken, rasch
wachsend. «Duck dich», sagte sie zu Tauber und drückte sich gegen den Boden,
eine Wange schmiegte sich in den Sand. Es krachte, einmal, zweimal, der Boden
bebte. Esther drückte sich noch tiefer in den Sand und spürte, wie ihr die Luft
knapp wurde, Panik, dann Stille. Sie schaute zum Gehöft, aber da war nur noch
eine große Staubwolke, die rasch breiter wurde und höher. Esther fiel ein Bild
aus einem Märchenbuch ein. Es zeigt den Moment, in dem die Flasche geöffnet
wird und der Geist hinausquillt. Hinter dem Staub war Feuer, sie hörte, wie
Dinge, die lange geflogen waren, im Fluss landeten. Der Wind stand so, dass der
Staub zu ihnen wehte. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und hörte, wie das
Feuer knisterte. Atmete sie jetzt zerstäubte Menschen ein?
    «Ist alles
in Ordnung bei euch?», fragte Sally.
    «Ja, alles
in Ordnung. Volltreffer.»
    «Na dann,
Honey. Habt einen schönen Tag.»
    Die
Hubschrauber zogen einen langen Bogen am Himmel, wurden wieder zu zwei dunklen
Punkten und verschwanden. Esther sah zum Gehöft und lauschte. Nichts.
    «Ich geh
jetzt zu dem Wolf», sagte sie zu Tauber, «gib mir Feuerschutz.» Er lehnte mit
dem Rücken am Rad, er nahm sein Gewehr und hielt die Mündung in Richtung
Fluss. Esther starrte in den Sand, ob sie Anzeichen von Minen sah. Sie sprang
auf und rannte in der Spur des Wolfes zum Wasser. Sie watete bis zum Heck und
ging dort in Deckung. Niemand hatte geschossen, sie sah wieder zum Gehöft,
nichts. «Lebt ihr?» Sie flüsterte. Der Fluss rauschte. «Lebt ihr?» Lauter
jetzt. Sie wusste, warum sie fragte. Sie wollte ihren eigenen Schock mindern,
den Schreck des Anblicks. Dann richtete sie sich auf. Sie sah die Toten nur von
hinten, aber so, wie sie da saßen, war klar, dass sie Tote waren, klein,
unvollständig, schwarz, reglos. Sie sah weg, bevor sie alles gesehen hatte.
Ein Blick zum Hof, dann rannte sie zurück und

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