Kurbjuweit, Dirk
Männer,
die auf dem Dach saßen, fast herunterfielen. Noch ehe der Bus ganz stand,
rastete der Rückwärtsgang krachend ein, der Motor jaulte, und der Kleinbus verschwand
wieder.
Esther
bemühte sich nicht mehr um Deckung. Vom Gehöft würde nichts mehr kommen. Sie
blieb trotzdem in der Nähe des Wolfs, überall konnten Minen sein. Sie suchte
nach Tränen, aber es waren keine da.
Wenig
später sah sie im Eingang der Schlucht vier Männer stehen. Sie wollte schon ihr
Gewehr hochreißen, entdeckte bei ihnen aber keine Waffen. Die Männer hoben die
Hände, die Handflächen zeigten nach vorne. Sie sagte Tauber, er solle mal zur
Schlucht schauen und ruhig dabei bleiben. Die Männer standen da und blickten
zum qualmenden und brennenden Gehöft. Sie trugen weite Hosen und Mützen, die
wie kleine Turbane aussahen. Wahrscheinlich waren sie Passagiere aus dem Kleinbus.
Bald waren sieben Männer dort, einige standen, einige hockten. Sie sprachen
nicht miteinander, schauten nur zu den Deutschen und zum Gehöft. Drei Kinder waren
dabei.
Esther
fragte sich, was mit Mehsud sein würde. Der Kommandeur würde die Fahrten
aussetzen, das war gewiss, eine Woche bestimmt, vielleicht zwei, womöglich für
immer. Sie waren so empfindlich. Und was machte sie dann? Warum mussten diese
beschissenen Taliban auch gerade ihr auflauern.
Nach zwei
Stunden sahen sie eine schwache Staubfahne, und dann hörten sie schwere
Motoren, und als der erste Dingo ins Blickfeld rollte, war Esther so erleichtert,
dass sie das gar nicht mit dem Gefühl verbinden konnte, die meiste Zeit keine
Angst gehabt zu haben. Die Fahrzeuge, ungefähr ein Dutzend, blieben in einigem
Abstand zum Fluss stehen. Die Kampfmittelbeseitiger machten ihre Arbeit, und
Esther hoffte, dass Maxi dabei sein würde, und dann sah sie Maxi. Sie winkte,
bereute es aber gleich. Es dauerte ewig, bis der Oberstleutnant, der den
Konvoi anführte, bei ihr war und sie unbeholfen in den Arm nahm. Esther war
das unangenehm. Sie wollte hoch zum Gehöft, wurde aber zurückgehalten. Nur
drei Feldjäger durften hinauf. Man gab ihr Wasser und eine Einmannpackung, und
sie setzte sich hin und trank und betrachtete dabei die Dinge, die um sie herum
geschahen, als hätten sie nichts mit ihr zu tun. Tauber wurde versorgt,
Sanitäter brachten zwei Leichensäcke zum Wrack im Fluss, Esther schaute nicht
mehr hin. Ein Hauptgefreiter, den sie aus der Werkstatt kannte, versuchte,
ihren Wolf zu starten, aber es ging nicht, der Motor hustete kurz und war dann
still. Pioniere schoben ihn zur Seite und sprengten ihn. Der andere Wolf wurde
aus dem Wasser gezogen und ebenfalls gesprengt, obwohl er schon ein Wrack war.
Nichts für den Feind. Es dämmerte langsam. Vor der Schlucht standen oder
hockten die Afghanen und sahen still zu. Die drei Kindern hatten sich
hergetraut und bekamen Schokolade aus den Einmannpackungen. Esther musste
dringend Wasser lassen, aber sie wusste nicht wo. Hier waren so viele Männer,
die alles im Blick hatten. Weil sie es nicht mehr aushielt, sprach sie den
Oberstleutnant an, und der ließ einen Bereich räumen, sodass sie sich hinter
einen Pfeiler der Brückenruine hocken konnte. Dann saß sie wieder im Sand, sah
hinauf zu dem zerstörten Gehöft, wo die Feldjäger waren, alles absuchten und
Notizen machten.
Als alles
erledigt war, lud der Oberstleutnant sie in seinen Dingo ein, aber sie wäre
lieber bei Tauber gewesen, der im Sanitätstransporter war. Der Oberstleutnant
quatschte die ganze Fahrt über und drehte sich ständig um, sodass sie nicht
einfach wegdämmern konnte, sondern ein aufmerksames Gesicht machen musste, nicken,
lächeln, oh sagen. Kinder, Gattin, die Stationen einer raschen Heereskarriere,
Hobby: Papierblumen falten. Warum musste sie von einem Gefecht direkt in einer
Komödie landen?
Gefecht,
ein Wort, das sie ersehnt und gefürchtet hatte. Jetzt war sie eine, die ein
Gefecht erlebt hatte. Die erste Deutsche? Jedenfalls die erste Soldatin der
Bundeswehr. Es wurde dunkel, die Nacht war bald schwarz, der Konvoi tastete
sich voran, weißes Licht, das im Nichts verblasste, selbst der Oberstleutnant
war still geworden. Hinter dem Dingo, in dem Esther saß, fuhren die Feldjäger.
Als sie von der Ruine zurückkamen, hatte sie in ihren Gesichtern geforscht, um
sehen zu können, was diese Soldaten entdeckt hatten, aber es war nichts zu erkennen
gewesen.
Sie saß in
dem fensterlosen Briefing-Raum, ein Büfett war aufgebaut, Wurst, Käse,
Gürkchen, Brot, Butter, eine
Weitere Kostenlose Bücher