Kurs auf Spaniens Kueste
landeinwärts von der Quelle. Ich würde ihn gern besuchen, wenn Sie mich — sagen wir — zwölf Stunden später wieder abholen könnten.«
»Machen wir.« Das war nicht zuviel verlangt. »Machen wir«, wiederholte Jack und unterdrückte ein wissendes Grinsen. »Ich nehme an, Sie wollen die Nacht an Land verbringen. Noch heute abend laufen wir die Stelle an. Und Sie sind ganz sicher, daß uns dort keine Überraschung erwartet?«
»Ganz sicher.«
»Dann schicke ich kurz nach Sonnenaufgang den Kutter, um Sie wieder abholen zu lassen. Was aber, wenn wir daran gehindert werden? Was wird dann aus Ihnen?«
»Dann warte ich am nächsten Morgen zur gleichen Zeit an derselben Stelle — oder am Morgen danach; notfalls auch an einer ganzen Reihe von Tagen. Und jetzt muß ich gehen«, sagte er beim Klang einer Glocke, die sein neuer Loblollyboy läutete zum Zeichen, daß die Sprechstunde begann. »Ich wage es nicht, diesen Burschen mit all den Drogen allein zu lassen.«
Der Sündenfresser hatte einen Haß auf seine Bordkameraden entwickelt und war dabei überrascht worden, wie er die Mehlsuppe der Kranken mit weißer Kreide zubereitete, unter dem Vorwand, daß es ein viel wirksameres, viel unheiligeres Pulver sei. Wenn böser Wille dazu ausgereicht hätte, wäre Stephens Lazarett schon vor Tagen leergefegt gewesen.
Gefolgt von der Barkasse, pullte der Kutter vorsichtig durch die warme Dunkelheit in die Bucht, während Dillon und Sergeant Quinn zu beiden Seiten des bewaldeten Steilufers Wache hielten. Schon zweihundert Meter weit draußen atmeten die Bootsgasten begierig den würzigen Geruch der Pinien ein, gemischt mit dem Duft der Zistrosen: Es war wie der Vorstoß in eine andere Welt.
»Wenn Sie sich etwas mehr nach rechts halten«, sagte Stephen, »vermeiden Sie die Felsen mit den Krebsen.« Trotz der Hitze trug er seinen schwarzen Mantel. Darin eingewickelt, saß er leichenblaß im Heck und starrte mit seltsamer Intensität der engen Bucht entgegen.
Der Bach hatte bei Hochwasser eine kleine Barre gebildet, wo der Kutter nun auflief. Die Leute sprangen ins Wasser und schoben das Boot darüber, dann trugen zwei von ihnen Stephen an Land. Weit über der Hochwassermarke setzten sie ihn vorsichtig ab, nicht ohne ihn vor all den tückischen Ästen zu warnen, die überall herumlagen; dann hasteten sie zurück, um seinen Mantel zu holen. Der schnell strömende Bach hatte oberhalb des Strandes einen Felstümpel ausgewaschen, und hier füllten die Matrosen ihre Fässer, während die Seesoldaten auf den beiden äußeren Landspitzen Wache hielten.
»Was für ein köstliches Abendessen das war«, bemerkte Dillon neben Stephen auf einem glatten Felsen, der noch die Tageswärme abstrahlte und ihrem Sitzfleisch wohltat.
»Kann mich nicht erinnern, jemals besser gespeist zu haben«, antwortete Stephen, »jedenfalls nicht auf See.« Jack hatte von der Santa Lucia einen französischen Koch requiriert, einen königstreuen Freiwilligen, und setzte nun Gewicht an wie ein Freiochse. »Sie haben uns ja auch ausgezeichnet unterhalten.«
»Das war aber ein Verstoß gegen die Etikette. Am Kapitänstisch redet man nur, wenn man angesprochen wird, und dann in zustimmendem Sinne. Das macht die Unterhaltung ziemlich öde, aber so will es der Marinebrauch. Immerhin repräsentiert er den König, wenn man so will. Aber ich kam zu dem Schluß, daß ich für diesmal die Etikette vergessen und eine besondere Anstrengung unternehmen sollte — mich geselliger erweisen als sonst. Ich bin bisher nicht besonders fair zu ihm gewesen, bei Gott nicht«, sagte er mit einem Nicken in Richtung der Sophie . »Und es war anständig von ihm, mich einzuladen.«
»Tja, nichts liebt er so sehr wie eine Prise. Aber sein stärkstes Bestreben gilt nicht dem Beutemachen.«
»Richtig. Doch das bemerkt nicht jeder auf den ersten Blick — ich fürchte, da tut er sich selber unrecht. Zum Beispiel glaube ich nicht, daß die Leute ihn richtig einschätzen. Wenn sie nicht durch die Unteroffiziere so eisern in Schach gehalten würden, durch den Bootsmann, den Stückmeister und — wie ich zugeben muß — auch durch diesen alten Bock Marshall, bekäme er wahrscheinlich Ärger mit ihnen. Das kann immer noch passieren — Prisengeld steigt den Leuten zu Kopf. Zuviel davon, und sie schlagen über die Stränge, randalieren oder plündern — Ansätze dazu sind schon vorgekommen. Von Trunkenheit und Randale ist es kein weiter Schritt zur Aufsässigkeit oder sogar zur Meuterei.
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