Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
Vom Netzwerk:
einzukommen begann, setzte sie ihre Stagsegel und das Gaffelgroß. Als Jack prüfend zur Vorroyalrah aufblickte und sie schärfer anbrassen ließ, hatte er ihr Opfer noch gut erkennen können; doch als er dann den Blick senkte, drohte das Zwielicht bereits alles zu verschlucken.
    Er ließ die Leesegel wegnehmen und konnte nun ihre erhoffte Beute — oder vielmehr das Gespenst einer Beute, diesen fahlen Schemen, der sich ab und zu auf einen Wellenkamm hob — vom Achterdeck aus etwas besser erkennen. Dort bezog er mit seinem Nachtglas Stellung, starrte in die einbrechende Nacht und gab ab und zu im Gesprächston einen leisen Befehl.
    Schwächer wurde der Umriß, immer schwächer, und dann war er plötzlich weg. Spurlos verschwunden, von einem Augenblick auf den anderen. Der Quadrant des Horizonts, wo sich eben noch der undeutliche, aber vielversprechend wippende Fleck gezeigt hatte, war plötzlich leer, nur mehr ein Sektor bewegte See, auf die sich Regulus gemächlich herabsenkte.
    »Ausguck!« rief Jack nach oben. »Wo peilt sie?«
    Pause, dann: »Nirgends, Sir. Sie ist nicht mehr da.«
    In der Tat. Was sollte er jetzt unternehmen? Er wollte nachdenken, und zwar hier oben an Deck, in enger Fühlung mit der Lage, den umspringenden Wind im Gesicht und die schwach glühende Kompaßrose jederzeit im Blick — nachdenken ohne die geringste Störung. Und Konvention wie Disziplin der Marine gestatteten ihm genau dies. Die geheiligte Unverletzlichkeit des Kommandanten (manchmal so absurd, so förderlich dem leeren Pomp) hüllte ihn ein, isolierte ihn von den anderen und erlaubte seinem Geist ungestörtes Umherschweifen. Einmal sah er, wie Dillon hastig Stephen abdrängte, und registrierte die Bewegung, aber in seinem Kopf lief die Suche nach einer Problemlösung ungestört weiter. Die Polacca hatte entweder den Kurs geändert oder würde dies bald tun. Die Frage war nur, wo würde sie auf dem neuen Kurs bei Tagesanbruch stehen? Die Antwort hing von vielen Faktoren ab: War es ein Franzose oder ein Spanier, war er unterwegs nach Hause oder zu einem fernen Hafen, dachte der Skipper raffiniert oder simpel — und vor allem, wie waren ihre Segeleigenschaften? Von letzteren hatte sich Jack schon ein Bild machen können, denn er hatte in den letzten Stunden jede ihrer Bewegungen mit Argusaugen verfolgt. Also baute er seine Überlegungen (falls man den intuitiven Prozeß, der in seinem Kopf ablief, so nennen konnte) auf diesen Gewißheiten auf, schätzte den Rest realistisch ein und gelangte zu einem Entschluß. Die Polacca war über Stag gegangen; sie konnte durchaus mit gestrichenen Segeln liegengeblieben sein, um sich in der Dunkelheit zu verbergen, während die Sophie an ihr vorbei nach Norden weiterlief. Auf jeden Fall jedoch würde sie bald wieder alle Segel setzen, hoch am Wind Kurs auf Agde oder Sète nehmen, dabei Sophies Kielwasser kreuzen und sich in erster Linie auf die besseren Am-Wind-Eigenschaften ihres Lateinerriggs verlassen, mit dem sie leichter nach Luv und damit in Sicherheit gelangen konnte. Falls dies zutraf, mußte die Sophie sogleich wenden und sich unter Arbeitsbesegelung nach Luv Vorarbeiten, damit sie die Polacca bei Tagesanbruch in ihrem Lee liegen hatte. Denn wahrscheinlich verließ sich deren Skipper allein auf seine Lateinersegel vorn und achtern — selbst während der Verfolgungsjagd hatte er den beschädigten Großmast mit seinen Rahsegeln geschont.
    Jack ging in Mr. Marshalls Kartenraum und überprüfte mit zusammengekniffenen, vom Licht geblendeten Augen dessen Positionsangaben; dann verglich er sie noch einmal mit Dillons Berechnungen und kehrte an Deck zurück, um seine Befehle zu geben.
    »Mr. Watt«, sagte er, »wir werden gleich wenden, aber ich verlange, daß das ganze Manöver bei völliger Stille ausgeführt wird. Keine lauten Befehle, keine Bootsmannspfeifen, kein Geschrei.«
    »Aye, aye, Sir, kein Geschrei«, sagte der Bootsmann und eilte davon, mit ganz neuer, fremder Befehlsstimme »alle Mann klar zur Wende« krächzend.
    Dieser Befehl und vor allem der Ton, in dem er erteilt wurde, erzielten eine ganz besondere Wirkung. So gewiß, als hätte man es ihm gerade wörtlich mitgeteilt, wußte Jack plötzlich, daß die gesamte Besatzung wie ein Mann hinter ihm stand.
    Und einen flüchtigen Moment lang hörte er seine innere Stimme warnend flüstern, daß er jetzt besser recht behielte, denn sonst würde ihm dieses unbegrenzte Vertrauen niemals wieder zuteil werden.
    »Na denn, Assou«,

Weitere Kostenlose Bücher