Kurs Sol-System
Sie bitte, Primoberst Nigeryan!« rief Oshyans Stimme plötzlich aus einem der Nebenräume. »Bitte! Schauen Sie sich das an! Kommen Sie …!«
Der schwarze Nigeryan stellte sein Glas ab. Er schleppte seinen schweren Körper in den Gefrierraum, aus dem Oshyan rief. Yaku und Venus folgten ihm.
Der kleine Suboberst von Kaamos stand vor einem Gefrierschrank und hielt dessen Glastür fest. »Da«, flüsterte er. Er deutete in den Schrank hinein. »Was ist das?«
Yaku sah, daß der Mann zitterte; am ganzen Körper zitterte er. Was ihn so entsetzte, waren weiter nichts als Knochen: Zwei Brustkörbe, drei Schädel und ein Dutzend mehr oder weniger gründlich von Muskeln, Sehnen und Haut befreite Knochen. Alle sahen sie es, und keiner sprach ein Wort.
Wenn man siebzig Jahre alt war wie Yakubar Tellim und der Welt zudem ein wenig tiefer ins Auge geblickt hatte als der Durchschnitt, dann war man in der Lage, relativ schnell die einzig mögliche Schlußfolgerung aus so einem Anblick zu akzeptieren. »Das sind sie«, sagte er, und seine Stimme kam ihm vor wie die Stimme eines Sterbenden. »Das sind die Knochen der drei, die wir vermissen. Sie haben sie … sie haben sie gefressen …«
*
An Bord der WYOMING, 27. Februar 2554 nGG
Schrecklich! Furchtbar! Entsetzlich! Lissa hat mich angegriffen! Vor einer Gruppe von Gratulanten! Vor den Augen unserer Tochter! Vor den Augen Rüsselheimers und meiner Eidmänner!
Ich war gerade in ein Gespräch mit den Gratulanten vertieft. Die armen Leute hatten die weite Reise von Terra Tertia auf sich genommen, um mich kennenzulernen. Plötzlich nimmt Lissa dem Robotdiener das Tablett mit den gefüllten Champagnerkelchen ab und schleudert es auf mich! Das muß man sich einmal vorstellen! Meine Besucher waren schockiert.
Aber es kam noch schlimmer. Als ob es ihr nicht genug des Skandals war, packte Lissa einen der beiden Kerzenleuchter, die links und rechts meines Empfangssessels stehen, und begann auf mich einzuschlagen.
Meine Frau! Auf mich!
Und dabei beschimpfte sie mich auf das Unflätigste und brüllte vor aller Ohren hinaus, daß ich und die gute Donna Kyrilla … nun ja, daß ich und sie eben ein Verhältnis hätten.
Natürlich drückte Lissa sich anders aus. Ich will das Papier nicht mit den Obszönitäten beschmutzen, zu denen Lissa DuBonheur sich hinreißen ließ. Sie waren jedenfalls von der Art, daß die Damen unter meinen Gratulanten erröteten.
Ich glaube, Lissa hätte mich totgeschlagen, wenn Alban und Urban nicht dazwischengegangen wären.
Zwei Stunden danach hat sie die WYOMING verlassen. Der Commodore persönlich brachte sie in seinem Sparklancer zur CHEYENNE hinüber. Heute abend teilte Oberst Kühn mir mit, daß meine Gattin mit seinem Schiff zurück nach Fat Wyoming zu fliegen wünscht.
Entsetzlich! Der Schock steckt mir noch in allen Gliedern. Wie kann man sich nur derart gehen lassen! Und das als Gattin eines Höchstgeehrten! Sie weiß doch, wie sensibel ich bin! Sie weiß doch, daß ich Mesacan nehmen muß! Und sie weiß auch, daß diese hilfreiche Medizin den sexuellen Appetit steigert. Als Dame von Welt hätte ich mehr Toleranz von ihr erwartet, das muß ich wirklich sagen! Das Leben ist mir vergällt.
Du hättest vorsichtiger sein sollen, sagt Donna Kyrilla, du hättest nicht dreimal am Tag zu mir in die Praxis kommen müssen, sagt Donna Kyrilla, aber jetzt sei es eben geschehen, und Lissa werde schon wieder zurückkehren. Nur Schwachsinnige würden die Möglichkeit ausschlagen, auf Terra Prima leben zu können, sagt Donna Kyrilla.
Vielleicht hat sie recht. Aber wie könnte ich jetzt noch Gratulanten empfangen? Solche Skandale sprechen sich doch sofort in der ganzen Flotte herum! Nein, ich mag nicht mehr. Es ist vorbei …
Donna Kyrilla hat angeboten, bei mir zu übernachten, damit ich nicht allein bin in meinem Schmerz, damit ich mir am Ende nicht noch etwas antue. Wie fürsorglich sie ist, wie lieb!
Aus Dr. Gender DuBonheurs Reisetagebuch
5.
Aqualung, 54-02-28, 05.21.53 TPZ
In jeder Arbeitspause nahm Venus im Navigationsstand Platz und genoß den Ausblick aus der Frontkuppel: ein Waldrand, ein weißer Strand, schaumige Brandung und dahinter bis zum Horizont das rötliche Meer. Sie empfand ein schier unstillbares Bedürfnis, sich mit solchen Bildern zu füllen; Bildern voller Licht, Wasser, Himmel und Grün. Vielleicht würden solche Bilder eines Tages die Erinnerung an Eis, Zwielicht und Felswände verdrängen.
Die RHEINGOLD war
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