Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
auf Wiebkes Tasche gelandet war, sondern mit voller Absicht. Er hatte Erik und den Kaffee im Auge gehabt und das folgende Unglück, das in Wirklichkeit keines war, genau beobachten können. Genauso wie Mamma Carlotta! Aber beide hatten sie dazu geschwiegen, weil beiden klar gewesen war, dass Erik wohl einen bestimmten Zweck verfolgte. Doch nur Mamma Carlotta hatte den Grund erfahren. Mittlerweile machte Erik sich große Vorwürfe, dass er versucht hatte, Sören mit einer Ausrede abzuspeisen. Das hatte sein Assistent nicht verdient.
Wiebke hatte Erik weismachen wollen, ihre Tasche sei alt und ganz unempfindlich, und auf einen Fleck mehr oder weniger käme es sowieso nicht an. Aber er hatte die Tasche sofort an sich gerissen und war aus der Küche gelaufen. »Ich habe einen hervorragenden Fleckentferner im Keller!«, rief er zurück. »Speziell für Leder!«
»Aber die Tasche ist nicht aus Leder! Das ist Stoff!«, rief Wiebke ihm nach.
Daraufhin sprang Mamma Carlotta auf, um sich an der Fleckentfernung zu beteiligen, für die sie als Spezialistin galt, seit es ihr vor Jahren gelungen war, das Brautkleid einer Nachbarstochter, dem noch vor der Trauung ein schokoladenverschmiertes Kleinkind zu nahe gekommen war, zu retten. Und vor allem hatte sie durchschaut, dass Erik ein paar Augenblicke mit Wiebkes Tasche allein sein wollte. »Milchkaffeeflecken brauchen kaltes Wasser«, rief sie und humpelte hinter Erik her. »Danach die Stelle mit Gallseife auswaschen, und morgen ist nichts mehr zu sehen!«
Noch bevor die Kellertür hinter Erik ins Schloss fallen konnte, riss Mamma Carlotta sie schon wieder auf und war trotz ihrer Fußverletzung bereits neben ihm, als er am Fuß der Kellertreppe ankam. »Was ist los, Enrico?«, flüsterte
sie so laut, dass Erik Angst hatte, es könnte in der Küche
zu hören sein. Er kannte sonst niemanden, der etwas tuscheln konnte, das im Nachbarhaus noch leicht zu verstehen war.
»Pscht!«, machte er und ging voraus in den Wäschekeller. Seine Frage, was mit ihrem Fuß geschehen war, wedelte sie weg wie eine lästige Fliege.
Mamma Carlotta schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie sah, was er vorhatte. Ohne zu zögern, damit weder seine Schwiegermutter noch sein Schuldgefühl Gelegenheit bekamen, ihn davon abzuhalten, zog Erik den Reißverschluss der Tasche auf. Im Innenfutter steckten immer noch die beiden Anstecknadeln. Er betrachtete das Foto des Mannes, von dem er nun wusste, dass es sich um Klaus Matteuer handelte. Mamma Carlotta machte einen langen Hals, als er die andere Anstecknadel aus dem Futter zog und sie umdrehte. Das kleine Bild zeigte das Foto einer Frau.
Ehe er es verhindern konnte, beugte Mamma Carlotta sich darüber. »Die eine Zwillingsschwester oder die andere?«
»Matilda natürlich«, entgegnete Erik. »Corinna hat die Haare nie so getragen.«
»Du musst es ja wissen«, kam es spitz zurück. Aber im selben Moment hatte Mamma Carlotta auch schon vergessen, dass Erik eine Nacht bei Corinna Matteuer verbracht hatte und sie ihn dafür eigentlich mit Gleichgültigkeit und sogar Verachtung strafen wollte. Ihre Neugier besiegte beides. »Warum trägt Signorina Reimers ein Bild von Matilda Pütz in ihrer Tasche?«
»Das wüsste ich auch gern«, entgegnete Erik. Dann nahm er seine Schwiegermutter ins Gebet, machte ihr klar, dass er hier eigentlich etwas Verbotenes tat, dass ihm diese Indiskretion selbst zuwider sei und er sich nur dazu durchgerungen habe, weil er einem Mörder auf die Schliche kommen müsse. »Sie hat ein Geheimnis«, erklärte er. »Es könnte etwas mit Dennis Happes Tod zu tun haben.«
Vorsichtig durchsuchte er die Tasche und drückte sie seiner Schwiegermutter in die Hand, nachdem er einen kleinen Zettel aus einem Innenfach gezogen hatte. »Was hast du gesagt? Kaltes Wasser und dann Gallseife?«
Mamma Carlotta verstand sofort und machte sich an die Arbeit. Wenn er die Tasche zurückbrachte, musste der Fleck entfernt sein. Sonst würde Wiebke seine Aktion am Ende noch durchschauen! Während sie rieb und zwischendurch immer wieder den Erfolg ihrer Arbeit überprüfte, sagte sie nachdenklich: »Du hast recht. Mit Wiebke Reimers ist was nicht in Ordnung. Ich spüre es schon seit einer Weile.«
»Wie bist du darauf gekommen?«, fragte Erik geistesabwesend zurück.
»Nichts Konkretes, nur so ein Gefühl.« Mamma Carlotta ließ die Tasche kurz sinken. »Du weißt, Enrico, dass ich oft richtig liege mit meinen Gefühlen. Denk an Signora Abaco. Dass
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