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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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wiederholte ich mir auf dem Weg zu Erkas Guanz, wo sie von Nara wissen sollten. Hundertprozentig sicher war es aber nicht. Nachdem Nara und ich uns bei Ojunas Hochzeit gesehen hatten, begannen sich seltsame Gerüchte zu verbreiten. Mama musste sie von Schartsetseg haben, und die hatte sie Burchan weiß wo aufgeschnappt. Nara trieb es angeblich mit Männern. Wir daheim taten, als glaubten wir das nicht, aber ich weiß, dass es Mama und Papa ins Herz schnitt.
    Papa machte sich, glaube ich, Vorwürfe, dass er in jener Nacht damals das geschliffene Messer schlafen ließ. Sie nahmen ihm die Tochter, und das Messer blitzte nur oben über
dem Ofen. Laut sagte keiner was. Ich glaubte es sowieso nicht. Aber ins Guanz kommen und Nara dort nicht vorfinden wollte ich doch nicht. Auch deswegen hatten mich meine Beine zum Markt getragen. Aber jetzt brauchte ich Hilfe. Wären doch alles nur Verleumdungen der eifersüchtigen Schartsetseg gewesen.
    Aber Nara war nicht im Guanz. Erka gab mir ihre Telefonnummer und war wütend, dass ich mich damals bei ihr und Purew nicht gemeldet hatte und für fünf lange Jahre einfach so verschwunden war und auch, dass ich jetzt so abgerissen war und so stank. Sie sagte, Nara hätte sehr gewissenhaft gearbeitet, und ob ich nicht ihre Stelle wolle. Sie würde mir Naras Zimmer geben, und die Töpfe würden die kleinen Mädchen für mich waschen, ich hätte sie nur zu überwachen. Ich brauchte Arbeit. Ich brauchte Geld. Irgendwer sagte nein. Ich war das und war es auch nicht. Es tat mir sofort leid, aber für Erka war die Sache erledigt, und ich spürte, dass es Zeit war zu gehen. Draußen war es schon kalt, und aus den Autobussen leuchteten Menschenaugen in die Dunkelheit. Lebendige, pulsierende Eingeweide, das ist die nächtliche Stadt. Die Straßen hinauf und hinab flackern ein paar Lampen, aber ordentliches Licht gibt es nur am Hauptplatz. Dafür jede Menge Straßenverkehr. Die schönen Jeeps der Reichen schieben Dutzende zerbeulter Gebrauchtwagen vor sich her. Sogar nachts stehen im Freien Billardtische, umringt von einer Traube von Männern, die scheinbar nie schlafen gehen. Der holprige Gehsteig ist voller tosender schwarzer Löcher, offener Kanäle. Wärme strömt aus ihnen und der tiefe Atem von Schlafenden. Unter den Vorsprüngen der Häuser und in Betonnischen versteckt hocken vermummte Gestalten.
    Ich ging die Hauptstraße entlang und wich den Schatten
mit geballten Fäusten aus. Ich ging im Wind, der mich stieß, der nach Benzin und fettigem Staub roch. Ich ging mit dem Wind, der nicht so wie in den Roten Bergen roch.
    So einen Wind wie hier haben sie nirgendwo. Nirgendwo haben sie so eine bedrohliche Stadt, die das Segeltuch von den Jurten streift und sie mit rissigem Beton verkleidet. Die mit den Platten die Wolken berührt und mit den Ger in die unendliche heilige Steppe hineinwächst. Eine Stadt, die von den Lanzen endloser Schlachtreihen eine blutige Morgendämmerung und vom fünfzackigen Stern einen roten Sonnenuntergang hat. Diese Nacht war eine Nacht des Stolzes. Die Khanstadt regnete Staub und warf mit Steinen. Und Naras Freudenhaus ließ sich einfach nicht finden.
    Ich hatte Nara sofort angerufen, von dem Jungen aus, der direkt vor dem Guanz herumsaß und jedem, der vorbeiging, sein rasselndes Telefon aufdrängte. Die fremde Stimme im Hörer verstummte, und dann suchte man lange nach Nara, es war still, und ich sah unruhig den zufriedenen Jungen an, wie er die Minuten zählte und meine Münzen nicht erwarten konnte.
    Nara sprach schnell und konfus. Ich wusste nicht, ob die genannten fünf Minuten zu Fuß, auf dem Pferd oder mit dem Auto gemeint waren. Ich hatte zu fragen vergessen. Nach einer Stunde Herumirrens fand ich das Etablissement. Ich war wieder auf der Hauptstraße, und Erkas Guanz lag in Sichtweite.
    Es war auf den ersten Blick als ein verrufenes Haus zu erkennen. Der Eingang strahlte rot, über der Tür stand die große, sorgfältig ausgeführte Aufschrift Diwaadschin , und vor dem Eingang standen mehrere schöne Autos. Frauen trieben sich in der Nähe herum. Zwei waren in ein freundschaftliches Gespräch vertieft, eine ging wild einen Mann an, der langsam
vorbeispazierte und sie gar nicht beachtete, und zwei weitere hatten sich unter dem Neonschild an den Haaren gepackt und schüttelten einander in einem wilden Kampf. Die Lippenstifte waren wie Kriegsverletzungen über ihre Gesichter verschmiert, ihre Augen in schwarzen Kreisen verschwunden, aus denen Blitze schlugen,

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