Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
auf einen Sprung vorbei, aber da war Dolgorma schon da.
Bis auf den Fleck war sie kerngesund.
Sie hatte auf dem Rücken ein kleines blaues Mal, so dass ich mich freute, weil ihr Vater also Mongole sein musste, was anderes kann ich von ihm zwar nicht berichten, doch hat mich das nie belastet und tut es auch heute nicht.
Alles ging schnell, und am dritten Tag war ich schon wieder daheim, zurück am Fenster mit der Aussicht auf alles Wichtige, was im Sansaar passierte, allerdings zusätzlich mit einem kleinen weißen verschnürten Bündel, das sich ein paar Nachbarinnen anschauen kamen.
Als sie keinen Mann erblickten, schüttelten sie die Köpfe,
aber ich bemühte mich, nett zu sein, und so hörten sie mit der Zeit auf, über mich zu reden.
Wir führten ein gutes Leben.
Bei uns im Ger hatte nur Magi neue Kleidung getragen. Ich lief in einem abgewetzten Deel herum, aus dem sie herausgewachsen war, und stolperte in ihren großen Schuhen herum, die innen immer ganz schief getreten waren.
Ich war stolz darauf, dass Dolgorma es anders hatte, und bemühte mich, dass sie es wie nur möglich anders hätte. Sie bekam, was sie wollte, doch ich konnte auch hart sein. Wenn sie lästig war und um etwas bettelte, was nicht möglich war, konnte ich sie auch ganz schön zusammenstauchen. Hätte sie einen Vater gehabt, hätte er sie von Zeit zu Zeit für ihre verwöhnten Ungezogenheiten verdroschen. Ich gab ihr nur einen Klaps und bemühte mich, ihr immer alles zu erklären.
Sie wuchs heran, als würde sie mit Sahne aufgezogen. Alles verlief, wie es sein sollte. Ihre wie Vogelflaum feinen Neugeborenenhärchen löste rasch ein weicher rabenschwarzer Haarschopf ab, dann kamen die ersten Zähnchen, und sie war noch kein Jahr alt, als sie, ohne zu stolpern, über einen dreifingerbreiten Riss im Asphalt ging. Ich sah es mit eigenen Augen. Die Nachbarinnen am Spielplatz sahen es auch. Sie war zäh wie ein Sämling und sagte ihren ersten Satz genau am Tag ihres ersten Geburtstags. Er handelte von mir. Dann breitete sie die Ärmchen aus, warf sich in meine Arme und ich gab ihr zur Belohnung ein Karamellbonbon. Die Tränen schossen mir in die Augen.
Je größer Dolgorma wurde, desto halsstarriger konnte sie auf ihrer Meinung beharren. Das hätte mich warnen sollen. Ich hätte rechtzeitig härter werden müssen. Aber was soll man dem Schatz mit seinen Zöpfchen sagen, wenn er mit dem
Beinchen aufstampft wie ein kleines Lamm mit dem Huf. Und Geld war eins der wenigen Dinge, die ich die ganze Zeit hatte. Manchmal kaufte ich mir etwas zum Anziehen und ließ ihr genau das Gleiche in klein nähen. So herausgeputzt gingen wir dann zu dem kleinen Platz hinunter und setzten uns auf eine Bank, und alle Leute, die sich in dem Moment zwischen den Plattenbauten aufhielten, drehten sich her, und manche zogen ein finsteres Gesicht. Kurz, dieses Mädchen genoss meine ganze Fürsorge. Gewöhnlich bekommt ein Kind etwas von seiner Mutter, etwas vom Vater, etwas von den Tanten, Onkeln, Großmüttern und Urgroßmüttern aus anderen Generationen. Dolgorma jedoch hatte nur mich und ein bisschen Nara. Ich musste ihr einfach alles geben.
Als Dolgorma sieben war, entschloss ich mich nach langem Überlegen, ihr die anderen ihres Blutes zu zeigen.
Man kann die Verwandtschaft ja nicht ganz links liegen lassen. Ich konnte ihr nicht die Leute vorenthalten, die auch ihr gehörten. Nara oder Schartsetseg hätten es ihr ohnehin irgendwie gesteckt, und wäre sie selbst darauf gekommen, hätte sie mir das nie verziehen. Vom Erzählen kannte sie nur Großmutter Dolgorma. Sie als Einzige. Sie stellte gar nicht so viele Fragen. Wahrscheinlich war sie gar nicht auf den Gedanken gekommen, sie könnte überhaupt noch weitere nahe Verwandte haben.
Mir zitterten während der ganzen Busfahrt in die Roten Berge die Knie. Ich bemühte mich, Dolgorma ein bisschen was von Papa und Ojuna zu erzählen. Sie aber plapperte andauernd. Sie war ganz außer sich wegen all der riesigen Viehherden, durch die wir hindurchfuhren, und ich musste ihr erklären, warum die Kamele Hufe weich wie Hirsebrei
hatten, wenn die der Kühe doch so laut trampelten, warum es so viele Pferde und so wenig Yaks gab und welches Pferd aus der Herde das wichtigste war.
Solche Kinder hatten wir in der Somonschule verlacht. Und obwohl ich Dolgorma gut erzog, wusste sie von meiner alten Welt wenig.
Alle nahmen sie an. Sogar Papa, der mich beim ersten Mal heulend hatte weggehen lassen. Wie eine Abtrünnige, die
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