Kuss des Apollo
Dirk mit seinem Pferd. Geraldine lernt gerade bei ihm reiten.«
»Ist ja super, dann reiten wir zusammen aus.«
»Langsam, langsam«, bremste Alexander. »Ich habe gesagt, sie lernt es gerade.«
»Das kann sie bald, so wie sie aussieht. Nicht, Alkmene?«
»Jedenfalls macht es mir Spaß«, sagte Geraldine. »Und ich möchte es gern richtig lernen. Alexander hat immer Angst, dass ich runterfalle.«
»Das gehört dazu. Wer nie von einem Pferd gefallen ist, kann nie ein richtiger Reiter werden. Wisst ihr noch, damals, als ich mir den Kopf aufgeschlagen hatte?«
»Wir wissen es sehr gut«, sagte die Oma. »Du hattest eine schwere Gehirnerschütterung und warst eine Zeit lang ziemlich daneben.«
»War ganz schön, ich brauchte nicht in die Schule zu gehen.«
»Und was hast du außer Andreas und Dirk noch zu bieten?«
»Die Rosen«, sagte Geraldine. »Ich habe noch nie so viele Rosen auf einmal gesehen.«
»Na ja, sicher. Andreas hat eine neue Freundin?«
»Was soll die dämliche Frage? Du kennst die letzte auch nicht.«
»Wer sagt das? Ich bin schließlich im März hier gewesen.«
»Wann bist du hier gewesen? Im März?«
»Ja, sicher. Das haben wir verschwiegen, Oma, nicht?«
Er lachte Geraldine strahlend an. »Die wollen immer nur, dass ich studiere. Kann ich gar nicht, ich habe nicht mal das Abitur. Mein Vater leidet darunter, und mein Herr Bruder ebenso. Dafür werde ich ein neuer Kainz.«
Alexander lachte. »In welchem Jahrhundert lebst du eigentlich?«
»In diesem und in jenem. Talente wie den Kainz gibt es immer wieder.«
»Jetzt nicht mehr.«
»Wait and see.
Irgendwann werden sie auch wieder mit dem Blödsinn aufhören, den sie heute auf die Bretter bringen, und normales Theater spielen. Wisst ihr, was meine Lieblingsrolle wäre?«
»Vermutlich der Romeo.«
»Quatsch. Der Wallenstein.«
»Da musst du noch eine Weile warten.«
Jörg Frobenius legte den Kopf zurück, dann begann er:
»Wär’s möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mir’s beliebt. Ich müsste die Tat vollbringen, weil ich sie gedacht. Weil
… Na ja, weiter weiß ich auch nicht. Oma, hast du den Wallenstein da?«
»Nein, den hat Jana nach Berlin mitgenommen.«
»Dann telefonieren wir mit Jana, sie soll uns die Bücher sofort schicken.«
»Weiß Jana denn, dass du hier bist?«, fragte Alexander streng.
»Weiß sie nicht.«
»Aha. Und weiß sie, dass du im März hier gewesen bist?«
»Meinst du, sie weiß das, Oma?«
Inga Holm lachte. »Wenn du es ihr nicht erzählt hast.«
»Hab ich oder hab ich nicht, das ist hier die Frage. Ich denke mir, ich habe es nicht erzählt.«
»Nicht Jana, nicht Vater, nicht mir«, seufzte Alexander. »Du bist eine Katastrophe.«
»Muss wohl so sein.
Zur kühnen Tat mich zog die rau gebietend Not jetzt, die Erhaltung von mir heischt.
«
»Was ist denn das nun wieder?«
»Wallenstein, du ungebildeter Bruder. Es war so: Ich hatte genug von England, und das Essen schmeckte mir auch nicht, also war ich mal eine Woche hier. Eine kleine, knappe Woche, nicht wahr, Oma?«
Jörg brachte die alte Dame zum Lachen, er hatte einen neuen Ton ins Haus gebracht.
»Was ist eigentlich mit deiner Freundin Silke, wenn du mit einer neuen Freundin hier auftauchst?«, wollte er noch wissen.
»Die hast du mir damals weggeschnappt.«
»Wenn ich mich richtig erinnere, warst du damals fünfzehn.«
»Sechzehn mindestens.«
»Silke geht es gut. Du kannst sie morgen treffen.«
»Ob sie mich noch liebt?«
»Sie hat einen neuen Freund. Und will demnächst heiraten.«
»Ist ja furchtbar. Nee, heiraten will ich absolut nicht. Du?«
»Gehen wir jetzt spazieren oder nicht?«, fragte Alexander.
»Klar. Schau dir bloß mal Nelson an. Er ist der reine Vorwurf.«
Es war inzwischen elf Uhr, aber dunkel war es immer noch nicht. Das war auch etwas, was Geraldine jeden Abend staunend beobachtete. Es wurde nicht dunkel. Sterne waren kaum zu sehen.
Nelson lief mit großen Sprüngen vor ihnen her. Er war glücklich. Nächtliche Spaziergänge liebte er besonders. Er durfte noch mal in den Garten, dann war Feierabend.
»Wir könnten eigentlich noch auf einen Drink in den Salon 1900 gehen«, schlug Jörg vor.
»Können wir nicht«, widersprach Alexander. »Du hast genug getrunken und gegessen. Und Geraldine ist hier, um sich zu erholen.«
»Eigentlich sieht sie doch ganz erholt aus.«
Er griff nach Geraldines Hand.
»Liebst du meinen Bruder denn?«
»Aber sicher«, sagte Geraldine.
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