Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
dem zerstörten Becken und breitete sich weiter über dem Boden aus, fraß sich genüsslich durch den Stein und alles, was mit ihr in Berührung kam.
Mittlerweile war die Säure näher und näher gekrochen, bis kein Fleckchen Boden mehr unberührt war. Der Eingang war versperrt, und es schien keinen Ausweg zu geben. Ren stand auf, schnüffelte in die Luft und entfernte sich ein Stück. Dann stellte er sich auf die Hinterbeine, legte die Klauen an die Wand und begann, blindwütig zu kratzen.
Als ich vorsichtig, um mich nicht zu verätzen, in seine Richtung ging, sah ich, dass er ein Loch geschlagen hatte und auf der anderen Seite Sterne funkelten! Hastig half ich ihm mit bloßen Händen beim Graben und zerrte so lange Steine heraus, bis das Loch groß genug war, dass er hinausspringen konnte. Nachdem er draußen war, warf ich meinen Rucksack hinterher und schlängelte mich hindurch, bis ich auf der anderen Seite herauskam und mich auf den Boden rollte.
Im selben Moment krachte ein riesiger Gesteinsbrocken laut tosend herunter und versiegelte das Loch. Das Beben wurde schwächer und hörte dann ganz auf. Stille breitete sich über dem dunklen Dschungel aus und eine zarte, pulverige Staubwolke rieselte herab und legte sich wie ein sanfter Schleier auf uns.
12 · Durgas Prophezeiung
12
D urgas Prophe z eiun g
I ch stand vorsichtig auf, klopfte mir den Staub von den Armen und tastete nach meiner Taschenlampe. Rens Hand packte mich an der Schulter und wirbelte mich herum, während er mich prüfend beäugte.
»Kelsey, ist alles in Ordnung? Bist du verletzt?«
»Nein. Mir geht’s gut. Sind wir hier endlich fertig? Die Kanheri-Höhle war echt lustig, aber jetzt möchte ich nach Hause.«
»Ja«, stimmte Ren mir zu. »Lass uns zurück zum Auto gehen. Bleib ganz dicht bei mir. Die Tiere sind um diese Zeit wach und auf der Jagd. Wir müssen vorsichtig sein.« Er drückte meine Schulter, verwandelte sich wieder in einen Tiger und steuerte auf die Bäume zu.
Ren führte mich um den Hügel herum zu den Steinstufen, an denen vor so vielen Stunden unser Abenteuer begonnen hatte.
Mir gefiel es ganz gut, in der Nacht durch den Dschungel zu wandern, da ich dann all die unheimlichen Geschöpfe nicht sah, die uns beobachteten, doch nach ungefähr anderthalb Stunden kümmerte es mich sowieso nicht mehr, ob mich Tiere belauerten oder nicht. Ich war schrecklich müde. Ich konnte kaum die Augen offen und mich auf den Füßen halten.
Ich gähnte zum ungefähr hundertsten Mal und fragte Ren: »Sind wir bald da?«
Als Antwort knurrte er leise. Dann senkte er plötzlich den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Den Blick starr auf den Dschungel geheftet, verwandelte sich Ren zurück in einen Mann. »Wir werden gejagt«, flüsterte er. »Wenn ich sage, los «, er zeigte nach links, »rennst du in diese Richtung und siehst dich nicht um … Los!«
In seiner Tigergestalt stürzte er voran in den dunklen Dschungel, während ich mich nach links wandte. Schon bald vernahm ich ein eindrucksvolles, bedrohliches Brüllen zwischen den Bäumen und beschleunigte meine Schritte. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wo ich war oder wohin ich lief, aber ich versuchte, der Richtung zu folgen, in die er gezeigt hatte, bis ich nach etwa fünfzehn Minuten schwer atmend stehen blieb und lauschte. Ich hörte Katzen, Raubkatzen im Kampf. Sie waren ungefähr eine Meile entfernt, aber sie waren laut. Die anderen Tiere waren verstummt. Wahrscheinlich lauschten sie ebenfalls dem Kampf.
Ein tiefes Knurren und Fauchen hallte durch den Dschungel. Es klang nach mehr als zwei Tieren, und ich machte mir allmählich Sorgen um Ren. Ich ging noch einmal fünfzehn Minuten und horchte gebannt, in dem Versuch, Ren aus den Geräuschen der anderen Tiere herauszuhören. Mit einem Schlag war es totenstill.
Hat er sie vertrieben? Ist er unverletzt? Soll ich zurückgehen und ihm zu Hilfe kommen?
Fledermäuse flatterten hoch oben im Mondschein, als ich umkehrte. Ich musste nach meinem Tiger sehen, ganz gleich, was er mir befohlen hatte. Ich war etwa eine Viertelmeile in die Richtung gegangen, die ich am vielversprechendsten hielt, als ich ein Knacken und Rascheln in den Büschen hörte und ein Paar gelber Augen sah, die mich aus der Finsternis anstarrten.
»Ren? Bist du das?«
Eine Gestalt tauchte aus dem Dickicht auf, kauerte sich sprungbereit hin und beobachtete mich.
Es war nicht Ren.
Ich fand mich Auge in Auge mit einem schwarzen Panther wieder und maß meine
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