Kyria & Reb - Die Rückkehr
nun muss ich noch ein paar Worte mit meiner Schwester wechseln.«
Maies Besuch hatte mir viel zu denken gegeben. Ich hielt es in meinem Zimmerchen nicht mehr aus und sagte Terry unten in der Backstube, dass ich eine Weile zum Main hinuntergehen wollte. Die Luft war schwer und stickig, kein Luftzug wehte durch die Straßenschluchten. Ein Spätsommernachmittag in La Capitale, und nur wenige Menschen hielten sich in der Stadt auf. Meine Haut wurde feucht, meine Haare klebten mir im Nacken, und meine Füße in den modischen Schläppchen, die man gerade so gerne trug, bekamen rote Striemen.
Besonders gut kannte ich mich nicht aus, aber ich folgte der Beschilderung zur Nizza-Anlage, die angeblich ein alter Garten war, der die Jahrhunderte überdauert hatte. Man hatte ihn nach der Großen Pandemie im Jahr 1975 aufgegeben, wie so vieles, das zum Überleben nicht notwendig war.
Ein Drittel der Weltbevölkerung war einer Seuche zum Opfer gefallen, einer Seuche, die durch bösartige Viren ausgelöst worden war, die Männer in ihren Labors gezüchtet hatten, um damit Krieg zu führen. Zum Krieg war es nicht gekommen, aber die Viren wurden – aus welchem Grund auch immer – freigesetzt.
Die Katastrophe brach über die Welt herein, und aus dieser Katastrophe war das Neue Europa, NuYu, entstanden. Es waren die Frauen, die sich um den Neuanfang und den Wideraufbau kümmerten, und seither war die Welt friedlicher geworden. Kriege wurden nicht mehr geführt, Hungersnöte brachen nicht mehr aus, die Luft wurde sauberer, die Kommunikation immer besser und schneller. Vor allem aber machte die Medizin ungeheuerliche Fortschritte. Der Schock über die Pandemie hatte dazu geführt, dass die Regierenden eine strikte Gesundheitsfürsorge für alle Bürger einführten. So weit, so gut. Doch Fürsorge macht abhängig. Jene Kundin, die sich so aufgeregt hatte, als ich ihr das Brot mit bloßen Händen reichte, zeigte deutlich, welche Ängste die Bewohner von NuYu hegten. Die Mutter, die den Notarzt gerufen hatte, weil ihr Sohn sich das Knie aufgeschürft hatte, zeigte es ebenfalls. Ich hatte ein natürlicheres Verhältnis dazu gefunden, als ich die bäuerliche Lebensweise in den Reservaten kennengelernt hatte. Vielleicht war ich jetzt, da die Bedrohung durch den Gendefekt von mir genommen war, zu leichtsinnig. Das konnte schon sein. Aber das Wissen um meine Gesundheit, das Entkommen aus der ständigen Überwachung, das hatte mir ein so wunderbares Gefühl der Freiheit geschenkt.
Ich hatte die Allee aus großblättrigen Platanen erreicht, und in ihrem Schatten wanderte ich weiter, um mir ein Plätzchen zu suchen, wo ich meine Schuhe ausziehen konnte. Ein mit weißen Steinen eingefasster Brunnen lockte mich. Ich ignorierte die Spaziergänger, die hier zahlreicher anzutreffen waren als in den Straßen, und setzte mich auf die Stufen.
Maie hatte mich gewarnt, und ich wollte diese Warnung überdenken. Bisher hatte ich nur erfahren, dass man mir meinen Vater genommen hatte. Ich hatte getrauert um den unbekannten Mann, der meine Mutter und mich geliebt hatte. Aber es steckte mehr dahinter.
Man hatte Demir aus einem bestimmten Grund ermordet – er musste etwas herausgefunden haben, was geheim bleiben sollte. Hatte er es meiner Mutter noch verraten? Wusste auch sie davon? Warum hatte man sie dann nicht ebenfalls umgebracht? Weshalb hatte man meine Daten so gefälscht, dass sie glauben musste, mein Leben sei bedroht?
Sie war fünfundzwanzig, als ich zur Welt kam. Komisch, ich hatte sie nie gefragt, welchen Beruf oder welche Stellung sie damals gehabt hatte. Sie hatte ihr Studium vermutlich bereits beendet. Meine ersten Erinnerungen aber hatte ich von dem Haus meiner Großmutter in Schweden. Dann, ich musste wohl zwei oder drei Jahre alt gewesen sein, zogen wir zurück in die Capitale, wieder ein paar Jahre später verbrachten wir einige Zeit in Italien. Mir war es gleichgültig, wo wir lebten, ich hatte meine Kindermädchen, meine Lehrerinnen, das Hauspersonal, alle kümmerten sich um mich. Und bei jeder Kleinigkeit, die meine Gesundheit bedrohte, landete ich im Heilungshaus. Vor sechs Jahren kamen wir hierher zurück, Ma Dama Isha wurde Wirtschaftsministerin und übernahm den Parteivorsitz der UrSa.
Die Urban Social Association mit der Bärin im Wappenstand für Hochtechnologie, profitables Wirtschaften und Eliteförderung. Die Partei gab sich human und weltoffen, verfolgte unzählige Förderprojekte für die Civitas und – wie ich nun auch
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