Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
ist, wenn in allen Räumen Unterricht abgehalten wird. Doch Jennas erster Blick durch eines der Fenster der Klassentür links von ihr bestätigte, dass der Raum und auch die nächsten leer waren.
Da vernahm sie plötzlich Schritte.
Mary fand León auf dem Boden hockend hinter einer langen Reihe von Spinden. Er hatte den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt und hob ihn auch nicht an, als sie näher kam und sich neben ihn setzte. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. Eine Weile verging, dann sah León auf.
»Du solltest zu den anderen gehen. Ich bin kein guter Gesprächspartner.«
»Wir müssen nicht reden«, sagte Mary. »Lass mich einfach bei dir sein, okay?«
»Ach, Mary«, seufzte er, dann legte er den Arm um sie und zog sie an sich. Mary kuschelte sich an seine Schulter. Sie roch den unverwechselbaren Geruch seiner Haut.
In Leóns Nähe herrschte immer Stille, sie umgab ihn regelrecht. Vielleicht lag es an seiner Schweigsamkeit, sie war wie ein Panzer, den Worte nicht durchdringen konnten.
Also schmiegte sie sich nur noch fester an ihn, atmete ihn ein und wünschte sich einmal mehr, dass die Zeit stehen blieb.
Die Schritte kamen aus dem Gang, der sich rechts von ihr noch weiter von der Kantine entfernte. Jetzt hörte sie ein Fluchen. Es klang wie Spanisch – und als wäre dieser Jemand, wer immer da auch war, allein. Langsam entfernten sich die Schritte von ihr, das ließ Jenna aufatmen.
Immerhin werde ich wem auch immer nicht direkt in die Arme laufen.
Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, die schweren Sohlen ihrer Boots klangen dumpf bei jedem ihrer Schritte. Zumindest in Jennas Ohren. Sie lauschte. Der andere hatte seinen Weg fortgesetzt, er schien sie nicht zu hören.
Jenna hatte fast das Ende der Spindreihe, die sich zwischen den Türen links und rechts von ihr befand, erreicht. Aus dem Augenwinkel entdeckte sie rechts neben sich eine Tür mit einem Schriftzug. Janitor. Das Büro des Hausmeisters.
Gleich. Momentan hatte sie andere Probleme. Nur noch drei Schritte, zwei, einer, dann lugte sie um die Ecke.
Sie sah einen Jungen und dieser bewegte sich zügig auf eine der doppelten Glastüren zu, die in den Innenhof der Highschool führten.
Jenna wusste sofort, wer das war.
Der tote Muerte negra! Überall hätte sie seinen albernen, karierten Jogginganzug wiedererkannt. Und diese knallgelben Schuhe.
Schuhe, die sich durch den Ausgang bewegten. Das konnte nicht sein! Wie war das …? Jenna öffnete den Mund, wollte dem Toten etwas hinterherrufen … da drehte sich Cristiano Rabán zu ihr um. Langsam, als würde die Zeit zäh sein, langsamer verlaufen, drehte er seinen Oberkörper, dann sein Gesicht zu ihr.
Sein Gesicht war von einem breiten Grinsen durchzogen, in dem weiße Zähne blitzten. Deutlich sah Jenna das dunkle Loch an seiner Stirn, es sah aus wie Dreck, als müsste Jenna über das Bild vor ihren Augen wischen, damit dieser Fleck auf dem Gesicht des anderen verschwände. Doch Jenna starrte nur geradeaus, wagte nicht, sich zu bewegen. Dann hob der tote Muerte negra die Hand.
Er ballte sie zu einer Faust, streckte einen Zeigefinger nach vorne, den Daumen nach oben und hob ihn sich an die Stirn.
Dann blähte er die Wangen zu einem lautlosen »Puff«, zwinkerte Jenna zu und war im nächsten Moment verschwunden. Vom Erdboden verschluckt wie eine Fata Morgana.
Jenna taumelte zurück. Sie achtete nicht mehr darauf, leise zu sein. Sie wollte weg, sie musste zu den anderen.
Hastig wandte sie sich um. Sie hatte keine Zeit zu verlieren, aber sie wollte nicht unverrichteter Dinge zu ihnen zurückkehren. Wie sollte sie ihnen erklären, dass sie mit leeren Händen zurückkam, wenn sie das Hausmeisterbüro doch gefunden hatte? Nein, entschied sie.
Ich lasse mich von diesem beschissenen Labyrinth nicht an der Nase herumführen. Ich muss mich auf die Dinge konzentrieren, die wichtig sind, nicht auf irgendwelche Hirngespinste. Ich muss die Tücken des Labyrinths ausblenden, wenn ich überleben will.
Schnell drehte sie sich nach links und öffnete die Tür, die jetzt neben ihr lag. Im Gegensatz zu allen anderen Räumen wirkte das Hausmeisterbüro aufgeräumt und ordentlich. Mit heftigem Herzklopfen schaute Jenna sich um. Wo würde sie als Hausmeister Utensilien verstauen? In den wuchtigen Holzschränken? Sie rüttelte an einer der Türen und sie war offen! Sie öffnete die Schränke nacheinander und tatsächlich entdeckte sie eine große Stablampe, die auf ihren zittrigen Knopfdruck
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