Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
man sie. Während die Aushilfen um fünf vor neun noch im Laden ihren Kater kurieren und mehr schlecht als recht alles für die Öffnung vorbereiten, gibt es immer diese Frühaufsteherzombies, die mit ihrem Leben nichts Besseres anzufangen wissen, als an den Türen zu kratzen und lautlos zu flehen: Ich sehe doch, dass ihr da drin seid, kommt schon, macht auf, ich brauche meine Zeitung oder mein Pornoheft oder mein Computerhandbuch oder was auch immer für einen Mist ich so früh am Sonntagmorgen brauche. Scheißfreaks.
Als ich Only Books erreiche – ›Lonly Books‹, haha, lang leben die Analphabeten! –, ist die Tür immer noch verschlossen und dieser Wichser im Anzug steht unverändert wie ein Androide hinter der Ladentheke. Ich klopfe. Der Typ dreht den Kopf in meine Richtung und deutet auf das Schild an der Tür.
Montag – Donnerstag 8:88 – 8:88. Freitag 8:88 – 8:88. Samstag, Sonn- und Feiertage 8:88 – 8:88.
Ja, danke. Sehr hilfreich. Anscheinend gibt es in jeder Nachtschicht einen Klugscheißer von Grafikdesigner.
Ich rüttle an der Tür. Komm schon, du Arschloch, ich arbeite hier. Ich arbeite seit drei Jahren hier und du gerade mal für eine Minute, also MACH DIE SCHEISSTÜR AUF!
Nichts.
Ich trete gegen die Tür und irgendwo im Laden heult eine Sirene los. Gut. Vielleicht kommt der Flachwichser Bradley, oder wer auch immer heute die Schichtleitung hat, und schließt endlich auf.
Einige Sekunden später summt die Tür und springt einen Spalt weit auf. Ich schreite an dem Androiden vorbei, ohne ihn zu beachten, und er begrüßt mich mit einem munteren: »Guten Morgen, Sir! Was kann ich für Sie tun?«
Wundert mich, dass sie diesen Arschkriecher nicht gleich zu Bradleys Stellvertreter ernannt haben, statt ihn an die Kasse zu stellen. Ich gehe schnell durch den Laden und tippe den Code in die verchromten Nummerntasten des winzigen Schlosses am Büro ein. Verdammt. Anscheinend haben die schon wieder die dämliche Kombination geändert. Ich klopfe an und warte.
Ich klopfe noch einmal. Nichts. Versuchsweise tippe ich 1-2-3-4 ein und drehe den Knauf. Die Tür öffnet sich. Eines Tages, das schwöre ich, werde ich mir Bradleys Kreditkarte ›ausleihen‹.
Das Büro ist leer. Wer zum Henker hat dann die Ladentür für mich geöffnet? Es ist viel zu still hier drin. Normalerweise hört man hier kurz vor Öffnung die Computerserver summen und Musik von vorne, die Angestellten plaudern über ihre bevorzugten nikotin- oder koffeinhaltigen Wachmacher, Stapel neuer Bücher für die Regale werden auf Rollwagen geknallt. Aber hier ist keine Menschenseele und nichts rührt sich. Vielleicht stecken alle noch außerhalb des Einkaufszentrums fest und warten darauf, dass die Abriegelung endlich zu Ende ist. Aber wo kommt dann dieser Androidenknabe her? Hat er hier übernachtet?
Ich finde den Karton mit Werbe-T-Shirts unter der Teespüle und durchwühle ihn nach einem großen schwarzen Shirt. Ich finde eins mit einem halbwegs coolen Design auf der Vorderseite. Egal, solange es sauber ist und passt. Ich vergewissere mich, dass niemand kommt, dann streife ich meine Schuhe ab, ziehe meine Jeans aus und werfe, nach einem weiteren schnellen Blick, meine Unterhose in den Papierkorb. Das heiße Wasser verfärbt sich Ewigkeiten lang rostbraun, als ich die Jeans auswasche. Endlich ist sie sauber. Jedenfalls weitgehend. Ich wringe sie so gut wie möglich aus, dann schlurfe ich mit nacktem Arsch zu Bradleys Schreibtisch. Ich fühle mich wie damals, als niemand zu Hause gewesen ist und Karl und ich die Unterwäscheschublade meiner Schwester durchwühlt haben.
Mir gegenüber, an Gildas Arbeitsplatz, hängt ihr Stuhl bedenklich zur Seite durch. Auf dem Kissen hat sich ein Gesäßabdruck verewigt, so groß wie der eines Elefanten. Nun ist Gilda nicht gerade grazil, aber dieser Stuhl sieht wirklich verdammt mitgenommen aus. Ich hänge meine Jeans darüber und presse sie in das gequälte Polster des Möbelstücks, um das restliche Wasser auszudrücken.
Auf Bradleys Schreibtisch liegt ein Stapel Bildbände. Ich setze mich auf seinen Stuhl, der Bezug kratzt rau an meinem nackten Hintern. Das oberste Buch des Stapels ist ein Exemplar des Folterbuchs von Taschen. Das Cover zeigt eine gefesselte Frau, der eine dünne Eisenschlinge tief in den Kopf schneidet; daneben ein Maskierter, der etwas in ihren Oberschenkel sticht. Ich blättere in dem Buch und denke an Rhoda. Was zum Teufel ist da unten geschehen? War es nur ein Drogentrip
Weitere Kostenlose Bücher