Lacunars Fluch 02 - Die Prinzen
Borrak. Aber ich werde darüber nachdenken.‹
Ja, Borrak erinnerte sich an jedes Wort aus diesem Gespräch. Beide hatten sie dreist gelogen. Aber Borrak war der Meinung, dass ihm der Prinz seine Anteilnahme geglaubt hatte. Deshalb hatte er zufrieden grinsend dessen Gemächer verlassen. Nun wusste er etwas über den Prinzen, was andere nicht wussten, und das ließ sich bestimmt irgendwann verwenden.
Einige Tage später erschien ein unauffälliger Mann mit einer angeblich wichtigen Botschaft bei ihm, deshalb wurde er vorgelassen. »Mein Herr möchte sich gern an einem geheimen Ort mit Euch treffen. Er hat Euch einen Vorschlag zu machen.«
»Und sein Name?«
»Er möchte ungenannt bleiben, denn sein Vorschlag ist etwas heikel. Doch seid versichert, er ist ein mächtiger Mann mit Einfluss und Geld.«
»Hm.« Borrak kratzte sich das stoppelige Kinn. »Wer sagt mir, dass es keine Falle ist?«
»Eine Falle? Wer sollte Euch eine Falle stellen wollen? Euch, dem Hauptmann der Eisernen Garde?«
»Jeder hat Feinde. Gerade ein gesetzestreuer Mensch wie ich, der nur Befehle befolgt.«
»Daher fiel die Wahl meines Herrn auf Euch. Aber es soll ein Geheimnis bleiben, dass es zwischen Euch und ihm eine Verbindung gibt. Mein Herr wird sich Euch am Treffpunkt zu erkennen geben.«
»Ich bin ein treuer Diener des Königs.«
»Wie auch mein Herr. Werdet Ihr kommen, oder fürchtet Ihr Euch?«
Das war eine heimtückische Frage. Borrak und Furcht, das waren zwei Begriffe, die nicht zueinanderpassten, aber Bedenken hatte er schon. »Wo soll denn dieser Treffpunkt sein?«
»In der Tempelruine des Balshazu nahe den Höhlen von Dimashk. Kennt Ihr den Platz?«
»Bei den Titten der Windhexen! Balshazu ist ein Gott, den die Zylonen verehren. In dieser Ruine soll es …« Er unterbrach sich. Dem Boten durfte er doch nicht erzählen, dass er sich vor Gespenstern fürchtete.
»Dort sollen Untote umher wandeln«, ergänzte der Bote kühl lächelnd, »was natürlich Unsinn ist. Aber gerade deshalb wird der Platz von anderen gemieden und eignet sich für ein verschwiegenes Zusammentreffen.«
Borrak schwankte noch, aber seine Neugier siegte. »Wann?«, fragte er knapp.
»Heute um Mitternacht.«
Heute schon? Sein Herz begann schneller zu schlagen. Andererseits, wenn er ablehnte und es sich bei dem Unbekannten wirklich um einen mächtigen Mann handelte, konnte der ihm Schwierigkeiten bereiten. Bitten, von oben ausgesprochen, waren niemals Bitten sondern Befehle. Also sagte er zu.
Im Westen der Stadt erhob sich ein mächtiges, halbkreisförmiges Kalksteinmassiv, in das sich Margan wie eine eingefasste Perle schmiegte. Hier war durch Regen und Wind im Laufe der Zeit ein weitläufiges Höhlensystem entstanden. Das waren die Höhlen von Dimashk, benannt nach einem gleichnamigen Dämon, der diese angeblich mit seinem Feueratem geschaffen hatte, um sie zu bewohnen. Dort hatten die Zylonen ihren Unterschlupf, eine scheue Gruppe von Menschen, die Balshazu anbeteten, ein Wesen, halb Gott, halb Dämon, der das Amt eines Richters innehatte. Die hiesige Welt war für sie der Ort, an den man geschickt wurde, um für schlechte Taten in einer anderen Welt zu büßen. Alles, was sich in ihr befand, hielten sie für ein von Balshazu entworfenes Truggebilde, dem man widerstehen musste. Dann würde man nach seinem Tod auf ewig mit unendlichen Wonnen belohnt werden.
Balshazu war ein uralter Gott. Ursprünglich war er das Abbild des gerechten Richters gewesen, der neben der milden Erdgöttin Alathaia herrschte. Doch seit diese sich im Zorn gespalten hatte, war er allmählich von den Göttern Achay und Zarad verdrängt worden und hatte dämonische Züge angenommen. Sein Tempel war mittlerweile zerfallen, aber es standen noch einige Wände und Pfeiler, und der steinerne Altar war unversehrt. Es hieß, die Zylonen würden hier Menschenopfer bringen und die Toten dann durch Magie wieder zum Leben erwecken, damit sie ihnen dienten. Und da die Zylonen sich in weite Kapuzenmäntel hüllten und einen schlurfenden Gang hatten, konnte man sie in den Schatten der Dämmerung sehr wohl für lebende Leichname halten.
Borraks Faust lag am Schwertknauf, als er sich dem Tempel näherte. Es war finster und so still, dass ihn selbst das Huschen einer Maus erschreckte. Er wollte nicht an wandelnde Tote glauben, aber die Gegend war nun einmal verflucht. Außer den Zylonen wohnte hier niemand. Dunkel und drohend hob sich die Felswand gegen den sternenübersäten Nachthimmel ab.
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