Lady Almina und das wahre Downton Abbey: Das Vermächtnis von Highclere Castle (German Edition)
zur alten Normalität und dem Gefühl, dass nichts mehr so sein konnte wie früher. Almina war auf der Suche nach einem neuen Aufgabenfeld, das ihren Tatendrang befriedigen würde, vorerst jedoch war sie damit zufrieden, Porchy zu pflegen. Lord Carnarvon war glücklich darüber, wieder seinen Ausgrabungsarbeiten nachzugehen. Elsie war in ihrem Sprachtherapieprojekt beschäftigt, und die 18-jährige Eve genoss ihre Debütantinnensaison. Andere Mitglieder der Familie waren jedoch wie so viele Menschen im Land in einem Gefühl tiefer Verzweiflung befangen.
Aubrey war verbittert. Er war von allen Vorgängen rund um die Friedensgespräche in Versailles vollkommen desillusioniert. Nach Aubreys Ansicht ließ sich England durch »all den Hass auf das kontinentale Europa vereinnahmen«. In der Zeit der Verhandlungen in Versailles speiste Aubrey abends meist zusammen mit T. E. Lawrence, der versuchte, die britische Regierung dazu zu bringen, die Versprechen, die sie während des Krieges gegeben hatte, einzuhalten. Ihre Kollegin, die Schriftstellerin und Expertin für die Politik im Nahen Osten, Gertrude Bell, beschrieb die Verhandlungen als grauenhaftes Chaos. »Man kann all die schrecklichen Dinge, die passieren werden, vorhersehen und doch nichts tun, um sie zu verhindern.«
Der Friedensvertrag wurde am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal von Versailles unterzeichnet. In den vorangegangenen Monaten zähen Ringens waren die Hoffnungen vieler Nationen und angehender Staaten geschwunden. Der Nahe Osten wurde aufgeteilt und der Zuständigkeit der einzelnen alliierten Mächte unterstellt. Die katastrophalen Folgen dieser Maßnahme dauern bis heute an. Unter den Deutschen rief die Tatsache, dass sie zahlreiche Gebiete abtreten mussten, Verbitterung hervor. Außerdem wurde das Land zu Reparationszahlungen von Millionen von Goldmark verpflichtet. Frankreich legte es darauf an, vollständige Kontrolle über den Nachbarn zu erlangen, und Großbritannien wollte seine immensen Kriegsschulden beglichen sehen. Die Reparationszahlungen wurden nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern zum Beispiel auch von John Maynard Keynes, dem Vertreter des Schatzamts der britischen Delegation bei den Verhandlungen, als überzogen bewertet. Deren Höhe wurde 1924 und ein zweites Mal 1929 gesenkt, doch zu jener Zeit fühlte sich Deutschland bereits durch die Verpflichtung geknechtet, und Hitlers »Machtergreifung« war nur noch vier Jahre entfernt.
Als sich die Verhandlungen in Versailles dem Ende zuneigten, trafen viele Freunde der Carnarvons aus Ägypten für einen Rennbahnbesuch am Wochenende in Highclere Castle ein. Die Sommersaison der Geselligkeiten stand bevor, und auf dem Anwesen machte man sich zum ersten Mal seit Jahren bereit, Dutzende von Besuchern zu empfangen. Streatfield, der noch immer die Position des Butlers bekleidete, hatte die Aufgabe sicherzustellen, dass das einstige Niveau der Gastlichkeit wieder erreicht werden würde. Er würde nur noch drei Jahre im Dienst verbringen – er war zu jenem Zeitpunkt 63 Jahre alt, und seine Kräfte ließen nach. Doch er ließ wie immer größte Sorgfalt walten, und die ihm unterstellten Diener enttäuschten ihn nicht.
Dennoch war die Situation in Highclere nicht mehr dieselbe. Wie hätte sie es auch sein können, nachdem sich die gesamte Welt verändert hatte und das politische und gesellschaftliche Gefüge, wie es der 4. Earl gekannt hatte, für immer aufgelöst worden war? Millionen Männer waren im Dienste des alten Regimes gefallen, die fortdauernden Entbehrungen und die Rezession schürten den Groll der Bevölkerung. Lord Carnarvon trug für jenes Wochenende in Highclere die Bemerkungen »Pferderennen« und »Streik« ins Gästebuch ein. Organisierte Arbeitsniederlegungen gab es 1919 immer wieder. So streikten im Juni fast eineinhalb Millionen Arbeiter in den Baumwollspinnereien, im August die Polizei und im September die Angestellten der Eisenbahn. Die Bezahlung war niedrig, und die Arbeitsplätze waren rar: Millionen desillusionierter Kriegsveteranen gingen auf den Straßen betteln.
Selbst der Earl of Carnarvon hatte Geldsorgen, wenngleich auf anderem Niveau. Sein Einkommen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb war seit der Vorkriegszeit gesunken, und aufgrund der von Lloyd George initiierten neuen Gesetzesänderung beliefen sich seine Steuerzahlungen 1919 auf beträchtliche 7500 Pfund. 1918 hatte er bereits einen Teil des Mobiliars seines Anwesens in Bretby verkauft und bot nun die besten
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